. . Der kanadische Regisseur Denis Villeneuve spricht im Interview über philosophische Science-Fiction-Filme und die Welt im Jahr 2049
Vor drei Wochen stand der Mann tapfer auf dem Dach des Berliner Hotels Adlon, mit Blick aufs Brandenburger Tor, und stellte danach ein paar Etagen tiefer seinen Film „Blade Runner 2049“ vor. Mit nur wenigen Filmen – „Enemy“, „Prisoners“ und „Sicario“ – hat sich der Kanadier Denis Villeneuve zu einem der interessantesten und eigenwilligsten Filmregisseure Hollywoods entwickelt. Sein neuer Film aber, das gibt er gern zu, hat ihm lange Magengrimmen bereitet. „Blade Runner 2049“ ist eine Fortsetzung von Ridley Scotts epochalem Science-Fiction-Film „Blade Runner“ aus dem Jahr 1982. Klar, dass ihn nun alle auf das Original ansprechen. Aber das schiebt der Mann, der Englisch noch immer mit starkem, aber charmantem französischen Akzent spricht, nonchalant zur Seite. Er hat seinen Frieden mit dem Projekt gemacht und empfängt entsprechend entspannt.
Wann haben Sie den ersten „Blade Runner“-Film gesehen? Können Sie sich noch daran erinnern?
Denis Villeneuve: Und ob. Da war ich 14. Das weiß ich noch so genau, weil ich damals ein echter Science-Fiction-Freak war. Ich habe Fanzines wie „Star Log“ oder „Fantastic Films“ verschlungen. Ich weiß noch, wie ich die ersten Filmbilder mit Harrison Ford gesehen habe. Das hat gereicht, um meine Fantasie anzuregen, Träume auszulösen. Ich konnte es kaum erwarten, den Film zu sehen. Und als ich endlich im Kino saß, war ich hin und weg, wie kraftvoll der war.
Wenn Ihnen damals jemand prophezeit hätte, Sie würden selbst einmal einen „Blade Runner“ drehen, was hätten Sie da gesagt?
Ich hätte laut gelacht. Schon die Vorstellung, dass ich je einmal Regisseur werden könnte, war damals ja noch Science-Fiction für mich. Noch jetzt, wo ich den „Blade Runner 2049“ gedreht habe, schrecke ich manchmal aus dem Schlaf auf und frage mich: Was hast du nur getan? Was hat dich geritten, da zuzusagen?
Und wie sind Sie dann auf den Regiestuhl gekommen? Ridley Scott wollte „Blade Runner 2049“ ja eigentlich selbst drehen.
Richtig, Ridley hat das Projekt für sich entwickelt und mit Hampton Fancher und Michael Green das Drehbuch geschrieben. Aber als das Projekt schließlich stand, konnte er nicht. Er hat einen echt prallen Terminkalender. In der Zeit, als ich „Blade Runner“ gedreht habe, hat er zwei Filme gemacht. Und schon einen weiteren in der Pipeline. Er hat so viel Energie, was für ein Pensum, mit 79! Harrison Ford wollte aber nicht warten, bis Ridley wieder Zeit hatte. Er wollte gleich drehen. Also hat Ridley nur koproduziert. Und die Produzenten Broderick Johnson und Andrew Kosove mussten einen anderen Regisseur finden. Da sie mit mir schon „Prisoners“ realisiert haben, kamen sie dann auf mich.
Jetzt wird natürlich jeder Ihren Film mit Scotts Klassiker vergleichen. Wie viel Mut war nötig, um einzusteigen?
Ich weiß nicht, ob das wirklich Mut war oder nicht einfach Blödsinn. Aber irgendwann habe ich gesagt: Du musst deinen Frieden mit dieser Entscheidung machen. Du kannst nicht mit Angst darangehen. Natürlich ist der erste Film ein Meisterwerk, und natürlich wird jeder deinen Film damit vergleichen. Damit kannst du nicht konkurrieren. Aber, das habe ich mir gesagt: Es geht auch nicht um Konkurrenz. Wenn dein Name mit etwas so Großartigem verbunden wird, gibt es nur eine Möglichkeit, du musst es als künstlerische Herausforderung annehmen. Dafür darfst du auch keine Belohnung erwarten. Die wahre Belohnung ist, dass du den Film machen darfst! Wenn du damit deinen Frieden gemacht hast, hast du alle Freiheit. Genau so ist übrigens auch Ryan Gosling an die Sache rangegangen. Der hat auch akzeptiert, dass er damit auf die Nase fallen könnte. Uns beiden war anfangs mulmig, das hat uns ganz schnell nahegebracht. Bis zum Schluss hatte ich allerdings Fracksausen, was Ridley wohl zum fertigen Film sagen wird.
Waren Sie wirklich frei in Ihren Entscheidungen? Oder stand Ridley Scott immer hinter Ihnen und versuchte, Einfluss zu nehmen?
Ridley hat nur bei einer Sache Einfluss genommen: beim Titel. Das war wirklich das einzige Mal, wo er seinen Finger gehoben hat. Ansonsten hat er mir völlige Freiheit gelassen. Ich habe ihn ganz am Anfang getroffen, und da sagte er gleich: „Es ist dein Film, mach daraus, was du willst.“ Das hab ich dann auch getan. Was anderes hätte ich auch gar nicht tun können.
Und wie war das mit Harrison Ford? Lässt sich jemand, der die Rolle schon einmal gespielt hat, von einem anderen – und jüngeren – Regisseur sagen, wie man die Figur zu spielen hat?
Harrison war lange vor mir an Bord. Gleich am Anfang hat Ridley ihn gefragt: Bist du wieder mit dabei? Ohne ihn hätte er den Film nicht gemacht. Und Harrison hat sofort zugesagt. Es bedurfte also seiner Zustimmung, als es darum ging, dass ich die Regie übernehme.
Sie haben vor einem Jahr in „Arrival“ die Vision einer Zukunftswelt entwickelt, für „Blade Runner 2049“ haben Sie nun noch eine ganz andere entwickelt. Mir fiele nicht eine ein. Wo nehmen Sie so viel Fantasie so kurz hintereinander her?
Es sind einfach ganz unterschiedliche Universen. In „Arrival“ ging es um Lebensformen, die von woandersher kommen, hier geht es um Lebensformen, die nicht echt sind, aber menschlich wirken. Das sind ganz unterschiedliche Parameter, die die Ästhetik des Films bestimmen. Bei „Blade Runner“ kam noch hinzu, dass der erste Teil natürlich das ästhetische Spielfeld vorgezeichnet hat. Da ging es nicht darum, welche Zukunft ich mir für das Jahr 2049 vorstelle, sondern wie ich die Zukunft, die Ridley Scott sich für den ersten „Blade Runner“ ausgedacht hat, weiterentwickeln könnte. Ich habe da in gewisser Weise mit den Träumen eines anderen gespielt.
Sie sind jetzt im Gespräch für eine neue Adaption von „Dune – Der Wüstenplanet“. Den hat David Lynch schon mal verfilmt. Er ging damit ziemlich baden, aber es ist doch David Lynch. Messen Sie sich da gleich wieder mit einem ganz Großen?
Bei „Blade Runner“ musste ich mich damit auseinandersetzen, was ein anderer entwickelt hat. Sollte ich „Dune“ wirklich machen, das muss sich erst noch klären, kann ich – bei allem Respekt, den ich für David Lynch habe – seinen Film getrost vergessen. Da geht es wieder ganz um meine Vision von Frank Herberts Roman.
Werden Sie jetzt nur noch Science-Fiction drehen? Gehen Sie dem Drama verloren?
Ich träume von Sci-Fi, seit ich zehn bin. Aber jetzt, wo ich das mache, ist das so schwierig, solche Welten zu entwickeln und Gott zu spielen, da wäre es ein bisschen wie Urlaub, mal wieder ein Drama oder einen Thriller zu drehen.
„Arrival“ war ein sehr philosophischer Science-Fiction-Film. Ist das möglicherweise die Zukunft des Genres? Weniger Spezialeffekte, mehr Inhalt?
Das wäre zumindest die Art von Science-Fiction, die ich mag. Die Filme, die ich als Kind geliebt habe, das waren „2001“, „Solaris“, „Die Unheimliche Begegnung der dritten Art“, „Blade Runner“ oder zuletzt auch „Interstellar“.
Da haben Sie womöglich auch schon alle Titel genannt, die einen etwas anderen Weg gehen und sich nicht nur Schlachten im Weltraum liefern.
Die sind alle sehr provokativ, weil sie uns dem Kontakt mit dem Unbekannten aussetzen, weil sie uns intellektuell fordern und dafür auch ästhetische Konzepte entwickeln.
„Blade Runner“ handelt von Replikanten, die wie Menschen aussehen, aber doch keine sind. Ist das nicht irgendwie auch eine Metapher für das heutige Mainstream-Kino, haben wir nicht gerade lauter Replikanten- filme, die aussehen wie Filme, aber doch keine sind, die nur noch auf Effekte aus sind?
Eine interessante Frage. Ja, das ist ein bisschen wie Pornografie. Sie haben keine Storys, nur Effekte. Genau darum habe ich „Blade Runner“ gemacht. Weil der etwas anderes will. Schon der erste Film hatte das, und ich hoffe, das ist mir auch gelungen. Deshalb habe ich großen Respekt vor Kollegen wie Ridley, Steven Spielberg oder Christopher Nolan: dass sie es schaffen, in dem kommerziellen System, das Kino ist, eine so große Qualität zu halten und durchzusetzen. Wir brauchen mehr Leute wie sie.
Wären Sie als Regisseur auch gern so schnell wie Ridley Scott: zwei bis drei Filme pro Jahr?
Auf keinen Fall! Ich habe fünf Filme in sechs Jahren gemacht und finde das schon zu viel. Es war gut organisiert, weil ich mich in alle Projekte verliebt habe und die alle kurz hintereinander realisiert werden mussten. Aber auf Dauer ist das zu anstrengend. Filme wie „Blade Runner“ oder „Dune“ brauchen Zeit zum Träumen und Meditieren, bevor du dich an die Umsetzung machen kannst. So was kann ich nicht auf Dauer schaffen, wenn ich dafür nicht den Kopf genügend freihabe.
„Arrival“ war einer der besten Filme des Jahres 2016. Er bekam acht Oscar-Nominierungen, aber am Ende gewann er nur einen für das beste Sound Editing. Tut das eigentlich weh?
Nein nein. Wenn Sie den Entstehungsprozess kennen würden, würden Sie das als Triumph empfinden. Es war so schwer, „Arrival“ zu realisieren. Und dann acht Nominierungen. Ich hätte mir gewünscht, dass mein Kameramann oder mein Editor gewonnen hätten. Aber für mich war es ein Sieg, überhaupt dabei sein zu dürfen.
Eine Frage, die man Ihnen jetzt wohl auch ständig stellt – neben dem Dauervergleich mit Ridley Scott: Wo sehen Sie die Welt im Jahr 2049?
Das ist schwer vorherzusagen. Ich bete einfach für das Beste. Politisch haben wir gerade einen riesigen Schlamassel, unsere Ökosysteme werden immer bizarrer, davor wird schon seit 25 Jahren gewarnt. Dass der Klimawandel kommt, können wir derzeit in allen Nachrichten sehen. Es scheint, als würde die Welt von Kindern regiert, die kein Hirn haben. Aber ich habe Kinder, ich wünsche ihnen wie alle Eltern eine bessere Zukunft. Und hoffe, dass wir das schaffen.
Am 3. Oktober, zwei Tage vor dem Kinostart, war Ihr 50. Geburtstag. Macht das etwas mit Ihnen?
Ich mag es zu altern. Auch wenn man nicht weiß, wohin das alles mit der Welt gehen soll, habe ich das Gefühl, persönlich immer ruhiger und gelassener zu werden. Und meine Vision fürs Kino zu finden. Ich werde jetzt allerdings kürzertreten. Seit 2000 habe ich ununterbrochen an Filmen gesessen, von einem Projekt zum nächsten. Ich muss jetzt mal eine Pause machen. Und mir überlegen, wohin ich eigentlich damit will. Es ist ein Privileg, so arbeiten zu dürfen, ich möchte das aber nicht verderben.