Bochum. . Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen hat gestern vor dem Bochumer Landgericht der Prozess gegen den 19-jährigen Marcel Heße aus Herne begonnen. Die Staatsanwaltschaft hält ihn für einen Doppelmörder

Als die Tür aufgeht und die Wachtmeister ihn herein führen, da denken viele im Saal 240 des Bochumer Landgerichtes zunächst, es kommt der falsche Angeklagte. Klein und schmächtig, dicke Brille, dünner Körper, blasse Haut zu 80er-Jahre-Haarschnitt, nimmt Marcel Heße neben seinem Anwalt Platz. „Sieht ganz harmlos aus“, findet eine Zuschauerin am Freitagmorgen. Ist er aber laut Anklage nicht. Sie wirft ihm vor, im März dieses Jahres in Herne den neunjährigen Nachbarsjungen Jaden und den 22-jährigen Christopher W. brutal ermordet zu haben. Anschließend soll er Texte und Bilder von beiden Taten im Internet hochgeladen und sich damit gebrüstet haben.

Kurz nach sieben zeigen die Uhren, da stehen bereits die ersten Menschen vor dem Eingang des Landgerichtes. Nein, sagt Vera Lang, sie kenne weder Täter noch eines der Opfer. „Aber der Fall hat mich bewegt.“ Vielen ist es offenbar ähnlich gegangen. Zwei Sicherheitsschleusen müssen sie passieren, ihre Personalausweise werden kopiert, Taschen kontrolliert. Im Vorfeld haben Gerüchte über einen Racheakt die Runde gemacht und der ein oder andere in der langen Schlange hält den Prozess tatsächlich für überflüssig. „Das kann man auch anders regeln.“

Die Mutter des Opfers lässt den Angeklagten nicht aus den Augen

60 Zuhörer haben Platz im Saal, kurz nach halb neun stehen über 100 vor der Tür. Eine Frau mit pink gefärbtem Haar schiebt sich durch die Menge. Es ist Jeanette R, die Mutter des kleinen Jaden. Als die Türen sich schließen, mehr als 50 Leute murrend auf dem Flur zurückbleiben, da hat sie sich an den Tisch der Nebenkläger gesetzt, hat die Arme vor der Brust verschränkt und wartet auf den Mann, der ihrem Kind das Leben genommen hat. Von der Sekunde an, in der Marcel Heße hereinkommt, lässt sie ihn nicht einen Augenblick aus den Augen, fixiert ihn mit regungslosem Gesicht und bösem Blick. „Wut und Hass“ seien in ihr, wird sie später in einer Pause auf dem Gerichtsflur sagen. Aber auch, dass die Begegnung mit dem mutmaßlichen Mörder, „härter ist als erwartet“. Schwäche will sie dennoch nicht zeigen. „Das bin ich meinem Sohn schuldig.“

Kurz nur erwidert Heße den Blick, die meiste Zeit starrt er auf den Richtertisch oder ins Leere, während die Staatsanwaltschaft die Anklage verliest. Danach hat er den neunjährigen Jaden am Abend des 6. März unter einem Vorwand in den Keller seines Hauses gelockt und ihn dort mit 52 Messerstichen ermordet. „Weil er ihn sterben sehen wollte“, heißt es in der Anklage. Einen Tag später soll er Christopher W. getötet haben. Der ehemalige Schulkamerad hatte ihm Unterschlupf gewährt, wollte ihn dann aber angeblich bei der Polizei verpfeifen.

Heße schweigt, lässt über seinen Anwalt Michael Emde stattdessen ausrichten, er entschuldige sich für seine unpassende Kleidung – schmuddeliger Schlabber-Pulli, Jogging-Hose und Schlappen. Niemand aus seiner Familie habe ihm frische Kleidung zum Gericht gebracht. Es ist das einzige, für das sich Heße entschuldigt. Den „Anklagevorwürfen“, so Emde, trete sein Mandant nicht entgegen. Mit anderen Worten: Er ist geständig.

Er verhält sich wie ein Zuschauer

Gefühle hat Emde bei Heße bisher nicht feststellen können. Weder Reue für seine Taten noch Angst vor dem Verfahren. „Er sieht das Verfahren gegen sich eher aus der Perspektive eines Zuschauers.“ Als „eiskalt“ hat die Polizei den Angeklagten nach den ersten Verhören beschrieben. Ein ehemaliger Mitschüler nannte ihn gestern einen „Außenseiter und Klugscheißer, aber schlau“.

Im Publikum haben sich viele schnell eine ganz eigene Meinung über das „Milchgesicht“ gebildet. „Total bekloppt“, sagt ein Mann. Und seine Freundin hält Heße „für einen echten Psycho“. Gutachter, die den Angeklagten im Vorfeld des Prozesses untersucht haben, sehen das angeblich anders. Heße sei „voll schuldfähig.“

Der Prozess wird fortgesetzt.