Hattingen/Essen. . Die Physik-Doktoranden Raffaela Busse (27) aus Hattingen und Johannes Werthebach (31) aus Essen forschen am Südpol nach dem Ursprung der Welt.

Kalt wird es werden, das ist nichts für einen Wärmemenschen wie Raffaela Busse, aber: „Bei minus 70 Grad macht das auch keinen Unterschied mehr.“ Minus 70! Das wäre nun die Tiefsttemperatur am Südpol, aber die Doktorandin aus Hattingen und ihr Kollege Johannes Werthebach aus Essen müssen wohl mit allem rechnen (auch mit kaum nachweisbaren Teilchen aus dem All, aber dazu später). Die beiden jedenfalls arbeiten alsbald für ein Jahr in der Antarktis, zwei Auserwählte von 50 Bewerbern rund um den Erdball. Etwas Großes, nicht nur für sie: Es geht dort unten um den Ursprung der Welt(en).

„Ein Traum. Ein Abenteuer“

„Ein Traum. Ein Abenteuer“, sagt Raffaela Busse, 27. „Extrem faszinierend“, sagt Johannes Werthebach, 31. Beide habe n eben ihren Masterabschluss in Physik in der Tasche, er an der TU Dortmund, sie an der Uni Münster. Und sind derzeit schon in den USA, um zu trainieren für ihre außergewöhnliche Reise. Nicht für die große Kälte: Sie lernen, mit den Computern umzugehen, die am Südpol auf sie warten. „Meine Aufgabe wird es sein zu schauen, dass die Computer laufen“, hat Raffaela vor ihrer Abreise erzählt, aber das, sagen sie an der Universität amüsiert, sei wohl typisch für Physiker: Sie versuchen zu vereinfachen.

Raffaela Busse bei der Forschungsarbeit im T-Shirt. Das wird die 27-Jährige am eiskalten Südpol allenfalls drunterziehen.
Raffaela Busse bei der Forschungsarbeit im T-Shirt. Das wird die 27-Jährige am eiskalten Südpol allenfalls drunterziehen. © Caroline Seidel/dpa

Was überaus freundlich ist, denn was die Wissenschaftler da treiben am anderen, unteren Ende der Welt, ist für den Laien nicht leicht zu begreifen. In der Kurzfassung geht es so: Eineinhalb Kilometer tief ins ewige Eis haben sie eine Art Super-Teleskop versenkt. „IceCube“ heißt das, braucht in der Form eines Würfels mehr als einen Kubikkilometer Raum und besteht aus 5160 kugelförmigen Detektoren, so groß wie Basketballkörbe. Die liefern Unmengen von Daten, die vor Ort und in der ganzen Welt ausgewertet werden und die, wie Raffaela Busse ahnt, einst ein „Stück Geschichte des Universums offenlegen“ werden.

Sie suchen: Neutrinos. Unfassbar winzige Teilchen, die durch die Luft und durch uns hindurch fliegen, 60 Milliarden pro Sekunde allein durch unseren Daumennagel, nur mal so geschätzt. Viele werden von der Sonne ausgesandt, wenige kommen von weiter her: von außerhalb unseres Sonnensystems. Bislang hat die Menschheit nicht viele tatsächlich „gesehen“, am besten aber erkennt man sie im Eis, als kleinen, blauen Lichtstrahl.

Was man damit will? Es geht, wie Werthebachs Professor Wolfgang Rhode schreibt, um eine „Geschichte, die bis in die kleinsten Teilchen unserer Existenz führt, ebenso wie in die unendlichen Weiten des Weltalls“.

Johannes Werthebach.
Johannes Werthebach. © Nikolas Golsch

Und dann sagt Raffaela Busse bescheiden: „Putzen und Schneeschippen muss jeder.“ So ist das wohl in der Amundsen-Scott-Forschungsstation, wo je nach Saison 40 bis 150 Menschen arbeiten. Die beiden Doktoranden werden aber auch freie Zeit haben. Werthebach, der einsame Orte mag, zum Fotografieren und für „viele Gelegenheiten, den wunderschönen Sternenhimmel zu beobachten“. Busse, um ihr Spanisch und ihr Chinesisch zu verbessern und im Gewächshaus zu arbeiten. Sie hat sich schon angemeldet: „Ich werde meine Pflanzen vermissen.“

Junge Forscher sind stolz und „unfassbar neugierig“

Vor allem aber werden sie Daten analysieren, Teilchen suchen, PCs und ihre Festplatten pflegen. „Stolz“ ist die 26-jährige Raffaela darauf, Teil eines so welt-wichtigen Experiments zu sein. Und „unfassbar neugierig“ auf alles, was sie am Pol erwartet. Man müsse sich schon „sehr genau überlegen“, findet der 31-jährige Johannes, „ob die Reise zu einem solch abgelegenen Ort wirklich das Richtige für einen ist“. Ein Winter am Südpol, weiß Raffaelas Münsteraner Professor Alexander Kappes, ist „etwas Besonderes, das noch nicht viele Menschen erlebt haben“.

Ihr Bruder jedenfalls hat die Schwester für „bekloppt“ erklärt, die Oma war wenig begeistert. Immerhin kommt das Enkelkind erst zu Weihnachten 2018 zurück – wenn das Wetter hält. Die Universität von Wisconsin, USA, aber hat sich ihre „WinterOvers“, die Überwinterer, auch mit psychologischen Tests ausgesucht.

Im Oktober geht es endgültig los: über Denver, Colorado, nach Christchurch in Neuseeland und von dort über die Antarktische Küste zur Polstation, mitten im Eis. Immer mit dem Flugzeug, der Kälte entgegen. Was nur geht, weil am Südpol im Winter – Sommer ist.

INFO: Carla Henning fuhr durch den antarktischen Winter

Eine ist bereits aus der Antarktis zurück: Die Oberhausenerin Carla Henning, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Mechanik der TU Dortmund, fuhr drei Wochen an Bord des Eisbrechers „S.A. Agulhas II“.

Carla Henning ist schon aus der Antarktis zurück.
Carla Henning ist schon aus der Antarktis zurück. © Gerd Wallhorn


Zum ersten Mal waren Forscher im dortigen Winter unterwegs. 6500 Kilometer ging es Richtung Südpol, 200 Kilometer vor der festen Eisfläche war Schluss – damit „wir nicht festfrieren“, erinnert sich die 27-Jährige.

In drei Lagen Skiunterwäsche untersuchte Carla Henning ein Meer aus Eisschollen. Länger als eine halbe Stunde aber hielt sie es bei minus 60 Grad und Windstärke 10 nicht draußen aus. Nun ist sie wieder da, „berührt, dass ich am Ende der Welt war“. sl