Bochum/Witten. . Am Freitag startet das Zeltfestival Ruhr ins zehnte Jahr. Ach damals, als Howard Carpendale sich im WC föhnte und Casper die Axt herausholte.

Die Garderobe der Rockstars musste nur ein einziges Mal dran glauben in zehn Jahren. Was uns bereits erzählt, was das Zeltfestival Ruhr für eines ist: ein Festival für Erwachsene. Eines, bei dem man mit Bernstein-Bier im Strandstuhl sitzt statt mit der Dose im Matsch. Wo man Currywurst vom Fleischer Dönninghaus isst und sich auf dem Kunstmarkt Filztaschen, Grills und sogar Whirlpools anschaut. Ein Festival, das sich breit macht von Indie bis Schlager, von Hip-Hop bis Kabarett, von der Rocklegende Joe Cocker bis zum Kinderzauberer Kris.

Die Festivalmacher (v.l.): Lukas Rüger betreibt als Gastronom das „Livingroom“. Björn Gralla ist Chef der Konzertagentur „Contra Promotion“. Heri Reipöler hat Bochum Total mitgründet und macht mit „Radar“ auch Musik-PR.
Die Festivalmacher (v.l.): Lukas Rüger betreibt als Gastronom das „Livingroom“. Björn Gralla ist Chef der Konzertagentur „Contra Promotion“. Heri Reipöler hat Bochum Total mitgründet und macht mit „Radar“ auch Musik-PR. © Ingo Otto

Als die drei Bochumer Freunde Lukas Rüger, Björn Gralla und Heri Reipöler beim Tollwood-Fest in München auf die Idee kamen, das Zelt-Konzept ins Freizeitzentrum Kemnade zu holen, ahnten sie nicht, dass Silbermond 2016 ihre einmillionste Besucherin herzen würden (in diesem Jahr kommen wohl 140 000 hinzu). Und dass dem Zeltfestival Ruhr schon im vierten Jahr die Ehre zuteil werden würde, von Oasis die Garderobe verwüstet zu bekommen. Es mag eine Rolle gespielt haben, dass die ohne Noel Gallagher nur als „Beady Eye“ auftreten durften – recht erfolglos auch. „Wir hörten vorsichtig beim Band-Manager nach“, erinnert sich Rüger. „Der sagte, das könne er sich nicht vorstellen. Das hätte die Band noch nie gemacht.“

Rockstar auf die deutsche Tour

Ganz anders der deutsche Rapper Casper, der 2014 zum Tour-Abschluss auch mal Rockstar spielen wollte. „Die Band hat uns eine Einkaufsliste geschrieben“, sagt Rüger, „darauf waren hauptsächlich Ikea-Möbel.“ Nach dem Konzert habe die Band sich mit Äxten ausgetobt. „Aber sie haben das Sperrholz ordentlich auf die Schubkarre gepackt und zum Müll gefahren.“

Die drei Freunde haben gelernt: „Es gibt Künstler, die sitzen in ihrem abgedunkelten Bus und warten auf den Auftritt – und andere sagen: Was kann man hier erleben?“ Smudo und Michi Beck von den Fantastischen Vier ließen sich zum Golfclub in Bochum-Stiepel bringen. Und Revolverheld-Sänger Johannes Strate besuchte ein VfL-Spiel. „Er war fußballverrückt, auch sehr kompetent“, sagt Björn Gralla. „Nachher hat er zwei Spieler zum Konzert eingeladen.“

Tatsächlich genießen auch viele Künstler die Zeltstadt-Atmosphäre. Howard Carpendale verlustierte sich bis kurz vor seinem Auftritt am Strand. Dann wusch er sich die Haare im Waschbecken und trocknete sie unterm Handföhn.

„Die Musiker von BossHoss saßen den ganzen Tag halbnackt am Beach, drumherum 5000 Fans – und keiner hat sie erkannt“, erzählt Rüger. „Wir können uns jederzeit sehen lassen, sagten sie nachher, wenn unsere Sänger nicht dabei sind.“

„Wisst ihr eigentlich, was ihr daran habt?“

Die Atmosphäre, das ist das Pfund. Jamie Cullum rief 2014 von der Bühne, „er habe selten ein so friedvolles Festival erlebt“, erinnert sich Reipöler. „Wisst ihr eigentlich, was ihr daran habt?“ So sahen es auch Sarah Connor und Joe Cocker. Die ließen gleich nach ihren ersten Auftritten fragen, ob sie noch einmal spielen dürften.

„Joe Cocker hat ein interessantes Konzept gehabt“, sagt Reipöler. „Er ist nicht von einem Hotel ins nächste gezogen, sondern hat von Frankfurt aus alles sternförmig gemacht.“ Auch Helge Schneider fühlt sich gern daheim, erklärt Rüger: „Er kam mit seinem Wohnmobil und hat direkt hinter der Bühne gecampt. Markise raus, Tisch aufgestellt, ein paar Freunde kamen dazu.“ Und am nächsten Morgen um halb acht holte er sein knatterndes Motorrad hervor, machte alle wach und fuhr seinen Hund Gassi, eine Runde um den Kemnader See.

>> Info: Die Höhepunkte des Programms

Ausverkauft sind von 59 Shows an 17 Festivaltagen bereits das heutige Eröffnungskonzert der Rockband Placebo und die Auftritte von Sarah Connor, Max Giesinger, Wincent Weiss und Frank Goosen.

Deutsche Künstler prägen das breit gefächerte Programm: von Andreas Bourani (28.8.) und Yvonne Catterfeld (22.8.) über Anna Loos (mit „Silly“ am 20.8.), Jennifer Rostock (25.8.) und Judith Holofernes (2.9.) bis hin zu Dieter Thomas Kuhn (1.9.) und dem Essener Hip-Hop-Duo „257ers“ (2.9.).

Die lustigen Blechbläser von „La Brass Banda“ spielen am 19.8. gegen die Soul-Diva Joy Denalane an. Internationale Stars kommen mit „Bastille“ (20.8.), Emeli Sandé (24.8.), „The Human League“ (26.8.) und den Trip-Hop-Helden von „Morcheeba“ (29.8.) an den Kemnader See.

Mit der ZfR-Card für zwölf Euro kommt man an allen Festivaltagen aufs Gelände mit Kunsthandwerk, Gastronomie und Programm auf der Piazza. Sonst kostet der Eintritt vier Euro für Erwachsene, bis 12 Jahre ist er frei. Infos: zeltfestivalruhr.de