Essen. . Am 23. Juli 1977 ging in Essen eine Rocknacht mit Rory Gallagher, Little Feat und Roger McGuinn über die TV- und Radiosender Sender der ARD. Es war die offizielle Geburtsstunde des Rockpalasts. Die Idee dazu hatte Peter Rüchel
Es ist der 23. Juli 1977, ein Samstag. In deutschen Wohnungen werden Möbel zur Seite gerückt, Getränke kalt gestellt, Eltern zu Verwandten geschickt, Schlafsäcke ausgerollt. Großes steht bevor an diesem Abend, denn „Tschörmen Telewischen praudli presents“ die 1. Rockpalast Nacht. So etwas hat es noch nie gegeben im Deutschen TV. Es ist eine Revolution. Und sie beginnt im Ruhrgebiet, in Essen. Direkt nach dem „Wort zum Sonntag“.
40 Jahre später sitzt der Mann, der sie angeführt hat, bei Milchkaffee und Mineralwasser in einem Café in der Kölner Fußgängerzone. Peter Rüchel heißt er und war damals Redakteur beim WDR. Vor wenigen Monaten ist er 80 Jahre alt geworden, was ihn allerdings nicht daran hindert, das mittlerweile ergraute Haar immer noch lang zu tragen. Zum Jubiläum, sagt er, sei er wieder ein „gefragter Gesprächspartner“. Wohl auch, weil er ein guter ist. Denn nichts hat Rüchel vergessen. Daten, Zahlen, Namen – alles hat der gebürtige Berliner parat und würzt es gerne mit Anekdoten.
„Machen Se mal was für die Jugend“, sagen sie ihm, als er Mitte der 1970er zum WDR kommt. Rüchel und sein Regisseur Christian Wagner wollen was mit Musik machen. Sie wollen komplette Konzerte bis tief in die Nacht live übertragen, nicht nur im ersten TV-Programm, sondern gleichzeitig auch im Radio und via Eurovision in diverse europäische Länder. „Gute Idee“, findet Rüchels Vorgesetzter und gibt grünes Licht für die 1. Rockpalast Nacht. Rüchel überlegt, wo sie stattfinden soll. „Die Kölner Sporthalle war mir zu nah, die Dortmunder Westfalenhalle zu groß.“ So kommt er auf Essen, kommt auf die Grugahalle. Bis heute hält er das „für eine gute Entscheidung“. „Tolle Atmosphäre, und wir sind in der Stadt immer sehr nett aufgenommen worden.“
Zum Auftakt greift Rory Gallagher in die Saiten seiner Stratocaster und verlässt nach 90 Minuten schweißtriefend die Bühne. Danach kommt: Erst einmal nichts. 45 Minuten dauert der Bühnenumbau für die Band „Little Feat“, und alles was in dieser Zeit zu hören ist, ist der Satz „One, Two, Check“. Manchmal auch „Check, One, Two“. Und der oft etwas unbeholfen wirkende Moderator Albrecht Metzger – damals noch ohne Alan Bangs an seiner Seite – weiß bald nicht mehr, was er sagen soll. Heute unvorstellbar, damals kein Drama. „Das Publikum ist ruhig geblieben.“ Als es draußen langsam wieder hell wird und der letzte Ton verklungen ist, fallen Rüchel und Wagner sich vor dem Ü-Wagen in die Arme. „Aber wir hatten keine Ahnung, was wir da in Bewegung gesetzt hatten.“
Zwei Mal pro Jahr wird Essen nun zum Zentrum der Rockmusik. Oft sind die Musiknächte in der Gruga ausverkauft, bevor überhaupt feststeht, wer auftritt. Und auftreten wollen viele – vor allem, seit sich herumgesprochen hat, dass die zuvor in Deutschland völlig unbekannte Band „Mother’s Finest“ am Montag nach ihrem Auftritt in Ausgabe zwei rund 60 000 LPs verkauft hat. Nur Bruce Springsteen und die „Rolling Stones“ kann Rüchel nie zum Rockpalast locken. Dafür kommen „The Police“ und Bryan Adams, steht ein sturzbetrunkener aber dennoch grandioser Van Morrison ebenso auf der Bühne wie die Reggae-Band „Black Uhuru“. Und bei der für viele legendärsten Rocknacht greifen „The Who“ und „Grateful Dead“ nacheinander zu den Instrumenten und wollen sie gar nicht wieder abgeben. Die bunte Mischung ist Programm. „Unser Kriterium war die Qualität der Musik, wir waren keinem Genre verpflichtet“.
Wer spielt in der Gruga, der wohnt im Hotel Bredeney. Und straft das Image der wilden Rockstars Lügen. Nichts ist bekannt von verwüsteten Zimmern oder wilden Partys mit Groupies. Ärger gibt es nur einmal, als jemand versucht, die Karpfen im Bassin des Hotelrestaurants betrunken zu machen. Der damalige Essener Oberbürgermeister Horst Katzor kann die Wogen glätten und erweist sich auch sonst als Sympathisant der Veranstaltung. Keine Nacht bricht an, bevor der OB nicht zuvor zu Sekt und Schnittchen ins Ausflugsrestaurant Schwarze Lene geladen hätte, wo er gerne über Stahl- und Kohleindustrie referiert.
Jahrelang eilt die Veranstaltung von Erfolg zu Erfolg, doch nach der 13. Auflage schreibt die WAZ im Oktober 1983 angesichts sinkender Besucherzahlen. „Der Magnet Rockpalast verliert an Anziehungskraft.“ Und sie behält Recht. 1986 ist Schluss. Immer mehr Menschen bevorzugen statt langer Konzerte die aufwändig produzierten Video-Clips, die Sender wie MTV rund um die Uhr ausstrahlen. Und seit in Deutschland Privatsender für Konkurrenz sorgen, achtet auch die ARD auf Quoten. „Da war nichts mehr zu machen.“
Rüchel sagt das ohne Bitterkeit. Warum auch? „Viele Freundschaften sind geblieben“, erzählt er und fasst in einem Satz zusammen, wie er sich an die Rockpalast-Zeit erinnert. „Ich habe“, sagt er, „ein großes Gefühl der Dankbarkeit.“