Bochum. . Über 20 Jahre hat Ilse im Bochumer Bordell gearbeitet. In der Beratungsstelle „Madonna“ weiß man: Probleme von Prostituierten sind alltägliche.
Ilse heißt nicht Ilse. Doch über ihre Jahre als Prostituierte redet sie offen. Auch, weil es für sie „eine ganz ordentliche Zeit“ war; ein „fast normaler Beruf“.
Ende der 70er-Jahre stand die gelernte Steuerfachfrau nach der Scheidung allein da, mit Kind und 100.000 Mark Schulden. „Ich hatte für den Mann gebürgt. Zum Dank sorgte er dafür, dass ich nicht mehr in meinem Beruf arbeiten konnte.“ Die heute 63-jährige Bochumerin, eine freundliche Frau mit Brille und kurzem Haar, versuchte, sich und den Sohn als Taxifahrerin durchzubringen – sechs Mark die Stunde bekam sie. Eine Hure, die Ilse häufiger ins Bordell fuhr, lachte nur, als sie das hörte. „Du bist blöd“, sagte sie. „Versuch’s wie ich.“
Hilfe bei der Beantragung des "Bockscheins"
„Ich hab lange hin und her überlegt“, erinnert sich Ilse. Prostitution galt als „sittenwidrig“, wie würde sie sich fühlen, was sollte sie der Familie sagen? Sie weihte sie ein; die Mutter reagierte „überraschend cool“ und nahm das Kind, für das Ilse „Wirtschafterin im Bordell“ blieb, bis es „alt genug war zu verstehen“.
Die Hure aus dem Taxi half Ilse bei der Beantragung des „Bockscheins“, des nötigen Gesundheitszeugnisses, und begleitete sie zur Polizei. Im Gesundheitsamt fragte Ilse nach, welches Haus man „empfehle“. Dort mietete sie ihr erstes Zimmer. Eine Alt-Hure wies die Anfängerin ein, lehrte sie, sich ans Zeitlimit zu halten, „auf Falle zu arbeiten“ (ungeliebte Techniken nur zu simulieren) – und das alles „nie ohne Gummi“ zu tun.
Leben als Prostituierte ist hart und gefährlich
Das Erste aber, was die erfahrene Prostituierte der Neuen sagte, war: „Dreh keinem Freier den Rücken zu. Er könnte dein Mörder sein.“ „Da“, sagt Ilse, „wäre ich am liebsten wieder gegangen.“ Tatsächlich: ist ihr gegenüber nie ein Kunde gewalttätig geworden. „Schlechte Erfahrungen mit Männern“, behauptet die Ex-Hure, „hab ich nur beim Taxifahren gemacht“.
Astrid Gabb leitet die Beratungsstelle des Bochumer Prostituierten-Selbsthilfe-Vereins „Madonna e.V.“, der weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt und aktiv ist. Sie sagt: Auf der Straße sei das Leben als Prostituierte härter und gefährlicher. Aber dort spiele sich nur zehn Prozent aller Prostitution ab. „Die Frauen aus den Bordellen kommen auch heute nicht zu uns, weil sie geschlagen werden. Sondern weil sie eine Wohnung suchen, einen Kita-Platz, Geldnot haben.“ Bei Madonna könnten sie sagen, was in der Schuldnerberatung schwer falle: Ich schaff an.
Prostituierte können seit 2002 ihren Lohn einklagen
Anderes hat sich seit Ilses Tagen sehr wohl geändert. Manches ist besser geworden. Dass viele Bordelle den Frauen „mietfreie Tage“ gewähren etwa. Seit Inkrafttreten des ersten Prostituiertengesetzes 2002 können sie zudem ihren Lohn einklagen. Auch die Sozialversicherungen haben sich für sie geöffnet. Theoretisch zumindest.
Vieles aber, sagt Gabb, sei schlechter geworden, vor allem nach Erweiterung der EU-Grenzen. Als plötzlich Frauen aus Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Tschechien nach Deutschland strömten, ohne Zeugnisse, ohne Referenzen, ohne Möglichkeiten. Astrid Gabb nennt das aber „Armuts-, nicht Prostitutionsproblem“.
Wer heute als Hure arbeite, sagt Ilse, müsse „das Spiel des Unterbietens mitmachen“. Es begann bereits zu ihrer aktiven Zeit – als die ersten Migrantinnen in Bochum auftauchten. „Wir waren abgeschrieben bei den Männer, die waren ja so exotisch!“ Und: „Sie machten mehr für weniger Geld“.
Reguläre Arbeitstage von 14 Stunden
Ilse kam trotzdem über die Runden: ihrer Stammkundschaft und ihrer Deutschkenntnisse wegen. „Sie glauben ja nicht, wieviel Geld ich mit Reden verdient habe“, behauptet die Hure und erzählt von Freiern, die nur kamen, um ihr das Weihnachtsgeschenk für die Gattin zu zeigen („Gefällt ihr das wohl?“).
Ilse arbeitete von morgens elf bis drei Uhr früh, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr. „Fast“, korrigiert sie sich: „Heiligabend ist mittags Schicht im Puff.“ Vier Jahre später waren die Schulden beglichen. Ilse blieb, reduzierte nur ihre Arbeitszeit. Erst 20 Jahre später stieg sie aus – der vielen Treppen im Bordell und ihrer kaputten Gelenke wegen, erklärt die Rheumatikerin.
Seit gut zehn Jahren arbeitet sie nun bei Madonna, hilft Huren „in allen Lebensfragen eigentlich“, vor allem aber in Steuerdingen. Einige ihrer früheren Kunden rufen noch immer an, um zum Geburtstag zu gratulieren. Ilse freut sich darüber.
„Wir hängen wieder am Fliegenfänger“- Viele Kommunen im Revier wissen noch nicht, wie sie das neue Gesetz umsetzen sollen
Seit 25 Jahren ist „Madonna“ Ansprechpartner für „Sexarbeiterinnen“. Derzeit, sagt Astrid Gabb, erlebe man einen Ansturm wie nie zuvor. „Prostituierte, Betreiber und Behörden rennen uns die Bude ein.“ Der Grund: das neue Prostituiertenschutzgesetz. Es sieht eine Kondompflicht vor und eine Anmeldepflicht für Prostituierte, Bordelle müssen künftig erlaubt werden.
Die Ausweise sind noch nicht da
NRW war das erste Land, dass sich an die Umsetzung machte, ist weiter als andere. Die „Huren-Ausweise“, die die Städte nun ausstellen sollen, haben sie trotzdem noch nicht gesehen. Letzte Woche lagen sie noch in der Bundesdruckerei ...
Die Zahl der Prostituierten in NRW kann nur geschätzt werden (auf 25- bis 45 000), die Zahl der zu überprüfenden Betriebe ist unbekannt. Viele Städte wissen nicht, wieviel Personal sie dafür abstellen müssen. Gelsenkirchen „plant“ laut Sprecher Martin Schulmann mit zwei zusätzlichen Stellen. Duisburg hat vier Stellen ausgeschrieben, zwei beim Gesundheits-, zwei beim Ordnungsamt. Vermutlich reiche das nicht, gesteht Gesundheitsamtsleiter Dieter Weber. „Aber mehr war nicht drin, wir stehen unter Haushaltssicherung.“ Zumal man jetzt „Doppelstrukturen“ bezahlen müsse, an der Strategie der anonymen Beratung wolle die Stadt festhalten – die sei erfolgreich.
Dortmund nennt das Gesetz „gut“, aber es gebe „kritische Punkte“. Man rechnet mit 750 Anmeldungen von Prostituierten pro Jahr sowie 50 Erlaubnisverfahren. 3,2 neue Stellen werden geschaffen. Fast alle Städte klagen über fehlende Papiere und Auskünfte, über zusätzliche Kosten. „Da hängen wir wieder mal am Fliegenfänger“, sagt Schulmann.
Betreiber sollen sich ihre Betriebe nun genehmigen lassen, die Hygiene und ihre „Zuverlässigkeit“ werden überprüft, Straftäter etwa dürfen kein Bordell betreiben. Dies wird einhellig begrüßt. Ulrike Lembke, Professorin für „Gender im Recht“ an der Fernuni Hagen: „Es ist richtig, die Macht der großen Player zu beschneiden, da gibt es viel Ausbeutung.“ Doch: „Der Betreiber eines Hauses mit 600 Zimmern wird genauso behandelt, wie zwei Prostituierte, die sich ein kleines Appartement mieten.“
Die Kritik von Selbsthilfe-Vereinen und Sozialverbänden richtet sich vor allem gegen die Meldepflicht. Viele Huren fürchteten sich, weil die Familien nichts von ihrer Arbeit wüssten. Sie sorgten sich, dass Daten weitergegeben würden – etwa ans Finanzamt, dass sie bislang als Selbstständige führt. „Freiwilligkeit und Anonymität“ seien die Grundpfeiler der Arbeit mit Prostituierten, so die Diakonie.
Die „Kondompflicht“ schließlich findet nicht nur Astrid Gabb „völlig sinnlos“. Kaum eine Frau arbeitete „ohne“; und wer es tue, werde es auch künftig tun. „Wie will der Staat Verstöße denn feststellen?“ Ahnden will er sie: mit Bußgeldern von bis zu 50 000 Euro.