Bochum. . 2500 Sportler starteten am Sonntag. Wichtiger als schnell im Ziel zu sein, sind Selfies mit Strecke. Format soll sich in Deutschland einrichten.
Glaubt man den T-Shirts, die so viele Läufer tragen, dann haben sie ja schon ganz andere Sachen erlebt. „Triathlon Team TG Witten“ steht darauf oder „London 2012“, „Bottroper Herbstwaldlauf Ultramarathon“ oder „Fisherman’s Friend Strongmanrun“.
Klingt, ehrlich gesagt, ein kleines bisschen überqualifiziert für einen Lauf, bei dem niemand gewinnen kann und auch niemand auf die schräge Idee kommt, die Zeit zu nehmen. Warum bloß dann zehn Kilometer rennen? „Weil man nicht gewinnen muss“, sagt Sigrid Telgenbork aus Mülheim.
Läufer bleiben stehen an roten Ampeln
Vielleicht 2500 Mernschen tummeln sich hinter dem Bochumer Ruhrstadion, hier beginnt gleich der erste „Urban Trail“ überhaupt im Ruhrgebiet.
Man läuft da durch Sehenswürdigkeiten und sonntagsmorgensleere Straßen, es gibt ein bisschen Beiprogramm und viel auffälliges Verhalten: Läufer bleiben einfach stehen an roten Ampeln, machen Pausen, Selfies, Videos, gehen ein Stück – und schlagen auch mehrheitlich den Ouzo nicht aus, den Vassili Sakalis im Innenhof seines Lokals „Avli“ ausschenkt. Längere Verzögerung am Avli . . .
Laufweg: Reihe 2, Mitteltribüne rechts
Gestartet sind sie in mehreren Wellen, weil keine Sehenswürdigkeit es aushalten würde, wenn 2500 Läufer zugleich hindurch stampften. Die Welle bricht sich schon am ersten Ziel, in der musicalmäßig erleuchteten Starlight-Halle: Hier laufen sie nicht etwa über die Rollschuhbahnen, sondern durch Reihe 2, Mitteltribüne rechts – da bleib mal im Pulk! Stau, Selfies, Fotos; und „Rote Erde Schwelm“ bejubelt danach, dass sie noch beisammen sind, alle 24. Weiter, weiter zum Tierpark.
Und so kommt es an diesem gut gelaunten Morgen, dass etwa die Halbaffen in diesem Tierpark in ihrem Haus bleiben müssen – durchs Gehege traben ja Menschen. Dass vor der Szenekneipe „Mandragora“ eine Frau mit gebrochenem Bein sitzt, die Mann und Sohn vorbeirennen sehen will; drin spielt die Band „Run devil run“, aber den Namen haben sie vielleicht auch gerade erst erfunden.
Baby Benedikt zum Abklatschen
Dass am Planetarium die Großeltern das Baby Benedikt seiner vorbei laufenden Mutter Friederike zum Abklatschen hinstrecken, woraufhin 30 weitere Läufer Benedikt abklatschen – so recht weiß er nicht, was er davon halten soll.
Oder, dass ein Jörg seiner Nadine auf dem Rasen des Stadions einen Heiratsantrag macht. Was spielt man dazu? „You’ll never walk alone?“ „Hier, wo das Herz noch zählt?“
An der Brauerei heißt es:„Ich glaube, das Ziel ist hier“
Auf dem Repräsentationsflur im Rathaus war es wahrscheinlich noch nie so laut, denn sonst verleiht Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD) hier Ehrungen: Und die Geehrten kreischen dabei praktisch nie. Aber jetzt ist Eiskirch rechtzeitig in die Puscheln gekommen, um mit Cheerleadern und Tanzsportlern des VfL den Läufern zuzujubeln. Fotos, Selfies, Videos . . . Musikforum, Schauspielhaus, Stadtwerke, Fiege-Brauerei.
Es gibt mehr oder weniger alkoholfreie Verkostungen da, und als sie danach durch die riesige Lagerhalle laufen, in der tausende Kisten Bier gestapelt stehen, immer 14 Kisten aufeinander, da sagt einer: „Ich glaube, das Ziel ist hier.“
Ist es nicht. Der Berg zum Planetarium hoch ist nach zehn gelaufenen Kilometern recht gemein. Schließlich noch die Ehrenrunde im Ruhrstadion. Danach gibt es Frühstück für alle. Früher gab es Urkunden.
Weitere Läufe in Oberhausen und Dortmund
Nach Berlin und Bochum folgen die letzten Entdeckungsläufe dieses Jahres in Oberhausen rund ums Centro (9. Juli) und in der Dortmunder Innenstadt (17. September).
Die Berliner „Golazo Sports GmbH“ ist der Veranstalter. Sie versucht, dieses Angebot in Deutschland zu etablieren. Das Konzept kommt aus Benelux mit 16 bis 20 Läufen im Jahr.