Bochum. . Die Imkerin Heike Brauckhoff versüßt die Jahrhunderthalle mit ihrem Honig. Alte Industrie-Brachen sind offenbar gute Standorte für Bienenvölker.
Nicht zu süß, ein Hauch Säure, kräftige Noten von der Robinie und doch von ausgesuchter Milde – so schmeckt also die Jahrhunderthalle. Oder so schmeckte sie im Frühsommer 2016, denn die Bienen von Heike Brauckhoff finden jeden Monat und jedes Jahr eine andere „bunte Mischung“ vor auf dieser ehemaligen Industriefläche im Herzen Bochums. Die Weidenkätzchen und die Haselnuss sind nun durch, die Birke fast, die Scheinakazie blüht bald, die Linde folgt zuletzt. Jeder „Jahrhundert-Gold“-Honig fällt also anders aus, aber diesen wählten die Verkoster in Westfalen auf den ersten Platz. Brache, Großstadt, das Dach einer Industriekultur-Stätte – ein guter Standort für Bienenkästen?
Die Stadt blüht länger als das Land
„Auf dem Land herrscht Monokultur“, erklärt Brauckhoff, die Leiterin des Besucherzentrums. Wenn der Raps verblüht ist, gleichen die Felder aus Insektensicht einer grünen Wüste. „In der Stadt gibt es eine gute Blühfolge.“ Ob Kokerei Zollverein in Essen, Zeche Zollern in Dortmund oder auf alten RAG-Flächen im ganzen Revier: Überall findet man die kastenförmigen „Beuten“. Allerdings darf es auch nicht zu abgelegen sein: Einmal die Woche muss der Imker seine Völker pflegen. Mit dem Auto muss er heran fahren können. Und Vandalen sind ein Problem, erklärt Brauckhoff – ebenso wie diebische Imker, die die Königinnen stehlen.
Ein paar Besucher vor der Halle schauen empor, als Heike Brauckhoff ihr Rauchgerät anfacht, der Qualm soll die Bienen in den unteren der drei übereinander stehenden Kästen treiben – aber heute ist das eigentlich nicht nötig. Es ist kühl, die Bienen sind träge. Heike Brauckhoff arbeitet ohne Schutz, streicht „ihren Mädels“ über den Rücken, schiebt sie mit dem Finger zur Seite, um das Glitzern in den Waben zu zeigen.
„Es hat Jahre gedauert, bis ich diese Nonchalance hatte“, sagt sie. Aber sie hat gelernt: Auch Bienenvölker haben einen Charakter, der sich von ihrer Königin ableitet. Brauckhoff hat sich sanftmütige Bienen herangezüchtet, seit sie vor zehn Jahren ihren ersten Stock vom Hausmeister eines nahen Altenzentrums übernahm. „Jugendliche hatten Farbe in seine Stöcke gesprüht, da hat er aufgegeben. Als ich den Deckel abnahm, lebten aber doch noch 20 Bienen und haben mich wie wild gestochen.“
„Nach 30 Stichen merkt man es kaum noch“
Und warum tut man sich das eigentlich an? „Ich bin mit einer Pferdezucht groß geworden und lebe auf einem umgebauten Bauernhof. Da wollte ich auch den Honig selbst produzieren.“ Auch wenn Brauckhoff nicht einmal besonders auf Süßes steht. „Und ich wollte wissen, ob ich meine Angst überwinden kann ... Nach 30 Stichen merkt man es kaum noch, es hilft aber gegen Rheuma.“ Der Lohn: Die 53-Jährige blickt anders auf die Natur, beurteilt Vorgärten aus der Sicht ihrer Wildtiere. Ihrer Tochter, ihrem Sohn, ihrem Mann sagt sie immer: „Ich geh jetzt in die Bienen – und es hat etwas Meditatives.“
Der Hausmeister führte Brauckhoff zum Imkerverband, dort stellte man ihr einen -Paten an die Seite. Später lernte sie die Bienenforscherin Pia Aumeier von der Uni Bochum kennen und mit anderen gründeten sie 2012 den Verein Ruhrstadt-Imker. Mit 230 Mitgliedern ist er heute der größte der Region, ein Drittel sind Frauen. „Unser Durchschnittsalter liegt bei 41. Als ich anfing, habe ich das Durchschnittsalter meines ersten Vereins auf 69 gesenkt.“
Seit neun Jahren, seit den Berichten über das „Bienensterben“, wollen wieder mehr Menschen ihren Honig selber machen. Deutschlandweit wuchs die Zahl der Imker in zehn Jahren um 35 Prozent auf 108 000 – vor allem in den Großstädten, erklärt Petra Friedrich vom Deutschen Imkerbund. Das Rheinland und Westfalen legten allein im letzten Jahr um rund sieben Prozent zu. Nun ist jeder fünfte Imker hier eine Frau. Es ist fast eine Modewelle, sagt Heike Brauckhoff: „Wir scherzen immer: Imkern ist das neue Yoga.“
>> Info: „Das Bienensterben gibt es nicht“
Seit fast zehn Jahren gibt es Berichte über den nicht erklärbaren Tod von Bienenvölkern, vor allem in den USA. „Aber das viel zitierte Bienensterben gibt es so nicht“, sagt Hobby-Imkerin Heike Brauckhoff, „jedenfalls nicht bei uns. In 99 Prozent der Fälle ist der Imker schuld, wenn ein Volk eingeht.“ Er habe dann zu wenig gefüttert oder zu spät oder wenig getan gegen die Varoa-Milbe.
Der Deutsche Imkerbund sieht es ähnlich. „Viele Arten einzeln lebender Wildbienen sind bedroht, weil sie zu wenig Nahrung finden“, sagt Sprecherin Petra Friedrich. Bei den Honigbienen gebe es eine höhere Wintersterblichkeit. Die Verluste sind nicht ausgezählt, lagen aber wohl bei 15 bis 20 Prozent. Ein Teil ist natürlich bedingt, die Varoa-Milbe und Viren, Nahrungsmangel und womöglich Pestizide steigern den Effekt. „Im Frühjahr sind darum weniger Bienen unterwegs, bis zum Sommer gleichen die Imker dies aber aus.“ Weil es mehr Imker gebe, nehme die Zahl der Völker insgesamt zu.