Herne/Dortmund.. In den Vernehmungen erscheint Marcel H. „eiskalt“ und ohne Reue. Er gesteht den Ermittlern seine Taten und berichtet, was sich zugetragen hat.
Kurz nach 20 Uhr ist es am Donnerstag, da kommt ein junger Mann in den Thessaloniki-Grill in Herne spaziert. Ganz in schwarz, mit einem Regenschirm und – warum auch immer – mit einem Sack Zwiebeln in der Hand. Aber er bestellt keine Gyros-Pita, er wünscht ein Telefon. „Bitte ruf die Polizei. Ich bin Marcel“, sagt er ruhig zu Imbissinhaber Georgios Chaitidis. Der Grieche stutzt. „Welcher Marcel bist du denn?“, fragt er. „Guck im Internet, da ist überall mein Foto.“ Das tut Chaitidis, aber begreifen will er nicht sofort: „Marcel H. hat eine Brille“, sagt er, „wo ist deine Brille?“ Marcel H. sagt, dass er sie verloren habe.
Auf Griechisch ruft der 56-Jährige seiner Frau zu, dass der gesuchte Mörder im Laden stehe. Sie wählt den Notruf und gibt H. den Hörer. Fünf Minuten später stürmen die ersten Beamten in den Grill. Und eine der größten Fahndungsaktionen der letzten Jahre endet nur ein paar Kilometer von dem Ort entfernt, wo sie am Montag begonnen hat. Ohne Widerstand lässt sich der Gesuchte festnehmen – und gesteht noch in der Nacht, was Polizei und Staatsanwaltschaft ihm vorwerfen. Sie müssen ihn nicht mal lange bitten, er plaudert wie ein Wasserfall. „Emotionslos“ und „eiskalt“, nennt ihn Klaus-Peter Lipphaus, Leiter der Mordkommission. „Er diktiert den Kollegen.“ Von Reue keine Spur.
Er wollte sich zunächst nur selbst umbringen
Eigentlich, erzählt H. den Beamten, sei er am Montag nur noch einmal in das alte Haus seiner Familie gekommen, um sich umzubringen. Weil es in seinem neuen Zuhause kein vernünftiges Internet gebe. Und dann sei auch noch seine Bewerbung für die Bundeswehr, zu der er unbedingt möchte, abgelehnt worden. Vergeblich versucht er, sich zu erhängen. Als auch der Versuch scheitert, sich mit Kohlenmonoxid zu vergiften, beschließt er, jemanden zu ermorden. Irgendwen. H. schellt am Nachbarhaus. Wer auch immer ihm die Tür aufmacht, so sein Plan, der muss dran glauben. Es öffnet der neunjährige Jaden. H. bittet um Hilfe beim Aufstellen einer Leiter, lockt den ahnungslosen Jungen in den Keller und sticht dort mit einem großen Messer 52 Mal auf das Kind ein. Dann fotografiert er die blutüberströmte Leiche, stellt die Fotos ins Internet und flüchtet in einen nahen Wald. Als die Polizei naht, setzt er sich in die Stadt ab.
Dort wohnt ein 22-jähriger Bekannter, der mit ihm auf das Berufskolleg gegangen ist. H. bittet um eine Schlafgelegenheit „für ein paar Tage“, der Bekannte willigt ein, bis in die Nacht spielen die beiden Videospiele. Als sein Gastgeber aber am nächsten Morgen ins Internet geht, sieht er, dass H. gesucht wird, und kündigt an, zur Polizei zu gehen. „Das war sein Todesurteil“, sagt Lipphaus. Wieder greift H. zum Messer. 68 Einstiche zählt der Pathologe bei der Obduktion. Würgemale am Hals gibt es auch. „So etwas“, sagt der Kripobeamte, „nennen wir Übertötung.“ Erklären kann Lipphaus es nicht. „Das ist Sache eines Psychiaters.“
Marcel. H festgenommen: Imbissbesitzer äußert sich
Falsche Spuren erschweren die Fahndung
Wieder macht H. Fotos, die im Netz landen. Im übrigen, sagt er bei seiner Vernehmung, habe er die Wohnung in den drei Tagen nicht einmal verlassen. Dem Imbissbetreiber dagegen hatte er noch erzählt, er sei öfter am Herner Bahnhof gewesen, ohne erkannt zu werden. Was stimmt? „Werden wir prüfen“, sagt Lipphaus. Genau wie die Frage, wer wann was ins Internet geladen hat. Viele falsche Spuren seien dabei gewesen, sagt der Beamte. Das habe die Fahndung enorm erschwert.
Dafür, dass sie H. zum Zeitpunkt der Pressekonferenz in Dortmund nicht einmal 24 Stunden in Haft hat, weiß die Polizei am Freitagnachmittag schon viel. „Aber“, gibt Lipphaus zu, „es bleiben noch zahlreiche Fragen offen.“ Zum Beispiel die, warum der Mörder sich gestellt hat, obwohl es offenbar keine konkreten Hinweise auf seinen Aufenthaltsort gab. Oder warum er alles gesteht, zuvor aber noch die Wohnung seines zweiten Opfers in Brand setzte, „um Spuren zu verwischen“. Fraglich ist aber vor allem, wie es um seine Schuldfähigkeit steht. „Die Ermittlungen sind noch lange nicht abgeschlossen.“
Zunächst aber ist Lipphaus froh, dass sie ihn haben. So wie alle seine Kollegen. „Wir haben“, sagt der Kriminalbeamte, „schon viel Elend miterleben müssen. Aber dieser Mordfall geht unter die Haut.“