Ruhrgebiet. . Elf Stunden unterwegs, 270 Kilometer gefahren, 150 Minuten auf der Bühne: Ein Karnevalstag im Leben von „Achnes Kasulke“ alias Annette Eßer
- Annette Eßer ist seit über zehn Jahren im rheinischen Karneval unterwegs
- An den tollsten Tagen stemmt sie bis zu sechs Auftritte. Unter ständigem Zeitdruck
- Damensitzung in Mönchengladbach, Prunksitzung in Duisburg. Dazwischen liegen Welten
Immer das Gleiche. Das Navi setzt dich in einer fremden Stadt in einer dunklen Straße aus, das Ziel, ein Gemeindehaus, ist erst mal nicht zu sehen. „Hasse alles?“, fragt Bodo Krohn, und Annette Eßer packt sich Schrubber und Eimer: „Ich hab’ alles.“
Sie steigen aus, Krohn, der alte Profi, macht die Taschenlampe an, leuchtet in die Dunkelheit – da ertönt vorne links ein fernes, ein gedämpftes „Ta-ta – Ta-ta – Ta-ta.“
Unterwegs mit der Büttenrednerin.
Der Sitzung ist der Zeitplan geplatzt
Da muss es sein, das Gemeindehaus. Mülheim, Funkensitzung. Hin. In einem gewissen Sinn ist Eßer im Auto geblieben. Das Gemeindehaus betritt ihr anderes Ich: Achnes Kasulke. 19.20 Uhr.
Sie wäre jetzt dran. Aber der Sitzung ist der Zeitplan geplatzt. Noch tanzt die Minigarde. Dann das Seniorenmariechen. „Wieviel Minuten sind wir schon hinter? Fünf?“
„Noch nicht ganz. Vier. Mach schnell!“, sagt Krohn. Drückt sie, „Toi Toi Toi“. Ohne das geht sie nie auf die Bühne. Achnes ruft: „Ich versteh’ ja nicht, wie man beim Biathlon Zweiter werden kann. Die haben doch ein Gewehr.“ Ta-ta, Ta-ta, Ta-ta. Zehn vor acht kommen sie heraus-, ja, gerannt. „Wir sind jetzt 19.52“, sagt Krohn, „20.18 sind wir in Düsseldorf, 20.20 bist du drauf.“ Und gibt Gas.
Elf Stunden unterwegs, sechs Auftritte
Das wird ihr vierter Auftritt an diesem Tag. Von sechs. Mönchengladbach. Duisburg. Mülheim. Düsseldorf. Köln. Kaldenkirchen. Achnes Kasulke ist nämlich Wer. Seit zehn Jahren in großen Sälen. An diesem Samstag wird sie elf Stunden unterwegs sein, 150 Minuten auf der Bühne stehen, sechs Mal fast die gleiche Rede halten, 270 Kilometer fahren und gefahren werden.
Von Bodo Krohn, ihrem Manager. Er ist ein Freund. Und Profi. Das Wichtigste für einen Büttenredner? „Die genaue Adresse und ein erreichbares Handy beim Veranstalter.“
Drinnen singen sie laut die „Biene Maja“
Mönchengladbach, das war ein schwerer Start, die Damensitzung bei der „KG Immer lustig Holt“. Achnes wartet im Foyer eines großen Zeltes, gibt Selfies ohne Zahl. Drinnen singen sie laut die „Biene Maja“. „Highway to hell.“ „Ich geh’ mit meiner Laterne.“ Oh, die Damen haben tüchtig vorgeglüht, und sie sind: 2000.
Die Büttenrede geht dann so: 1000 vorne im Zelt hören zu, 1000 hinten schwatzen. Achnes ruft: „Wir haben meinem Vater noch das Nägelkauen abgewöhnt... Wir haben ihm die Zähne weggenommen.“ Ta-ta, ta-ta, ta-ta. Beifall vorne. Schwatzen hinten. War was? Eine Frau stößt ein Bierglas um auf die Hose der Nachbarin. Abgang. Selfies. Krohn gibt Gas.
Zwischen dem 11.11. und Aschermittwoch trinkt Annette Eßer keinen Alkohol. Aber an Tagen wie diesen literweise Tee. Und Ingwerwasser. Desinfiziert sich ständig die Hände, lutscht Hustenbonbons. „Ich renne immer mit Schal rum“, sagt die 46-Jährige aus Nettetal: „Wenn die Stimme nicht mitmacht . . . Mein Eimer spricht nicht.“ Und das wäre kein Spaß: Eßer kann von Achnes Kasulke leben, sie tritt auch außerhalb des Karnevals auf.
„Die haben sogar einen Parkplatz“
Duisburg. Die Oper kommt in Sicht. „Da waren wir doch schon mal. Oder? Nein, warte, in dem Hotel da.“ Der „Duisburger Hof“ liegt gegenüber. Etwas Zeit ist jetzt. Eßer wartet im Auto, Krohn geht gucken, ob es einen Raum gibt, damit sie nicht im Auto warten müssen.
Wie es um den Zeitplan steht. Wo ein Mikro ist. Kommt zurück: „Die haben sogar einen Parkplatz.“ Er fährt hin, ein junger Mann macht das Hoftor hinter der Oper auf. Bisschen voll hier. „Kann man euch zuparken?“ – „Wir müssen in vierzig Minuten weg“, sagt das Mariechen aus dem anderen Auto. Krohn parkt woanders.
„Immer ein neuer Saal, neue Menschen“
Zehn Minuten vor dem Auftritt wird Eßer immer nervös. Sie hört auf zu reden, geht weg, ihre Finger tippen auf dem Stiel des Schrubbers rauf und runter. Dabei ist das, was jetzt kommt, das Gegenteil von Mönchengladbach. Eine Prunksitzung, eine Trockensitzung: kein Alkohol im Saal. Die Leute sind ruhig, hören zu, dazu die glanzvolle Atmosphäre einer Oper.
Wo ist da eigentlich der Reiz?
Achnes ruft: „Unsere Schwiegermutter will auf dem Aldi-Parkplatz begraben werden. Weil wir da jede Woche zweimal hinkommen.“ Ta-ta, Ta-ta, Ta-ta. Nach 25 Minuten: Großer Beifall für Achnes Kasulke.
Krohn gibt Gas.
Frau Eßer, wo ist da eigentlich der Reiz? „Immer ein neuer Saal. Neue Menschen. Der Nervenkitzel: Wie sind die Leute drauf?“ Schaut aus dem Autofenster. NRW fliegt vorbei. Sie sagt: „Andere springen Fallschirm.“