Düsseldorf. „Bitte mehr Schutz“, schrieb RB Leipzig vor dem Fußballspiel in Dortmund ans Innenministerium. Warum nicht mehr Polizisten im Einsatz waren.
Als leidenschaftlicher Stadionbesucher seines Heimatvereins MSV Duisburg ist Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger mit der „Fan-Kultur“ bestens vertraut. Wohl auch deshalb ließ sich der 55-jährige SPD-Politiker nicht lange bitten, die jüngsten Tumulte rund um das Bundesliga-Spiel von Borussia Dortmund gegen RB Leipzig markig als „Schande für den Fußball“ zu verurteilen.
Flaschen, Steine und Drohungen eines enthemmten Mobs gegen Frauen und Kinder, diese „hasserfüllten Fratzen“, von denen selbst der gestandene Dortmunder Polizei-Einsatzleiter Edzard Freyhoff schockiert berichtete – das alles geht einem näher, wenn man wie Jäger diesen normalerweise vorfreudigen Prozessionsmarsch der Massen zum Stadiontor aus eigener Erfahrung kennt.
Schon im November schrieb RB ans Innenministerium
Doch seit Mittwoch stellt sich die brennende Frage, ob gerade in Jägers Innenministerium die Schutzbedürftigkeit des Bundesliga-Neulings Leipzig dramatisch unterschätzt wurde.
Im November hatte die RB-Geschäftsführung in einem Brandbrief an das Innenministerium um bessere Sicherheitsmaßnahmen bei Auswärtsfahrten an Rhein und Ruhr nachgesucht.
Wie sehr die vom Brausehersteller Red Bull finanzierten Neureichen aus Sachsen zum „Feindbild“ von Ultra-Gruppierungen stilisiert werden, mussten sie bereits im September in Köln und im November in Leverkusen erleben. Einmal wurde der Mannschaftsbus mit einer Sitzblockade so lange aufgehalten, dass das Spiel erst mit Verspätung angepfiffen werden konnte. In Leverkusen flogen Farbbeutel.
Aus Leipzig kam die Bitte nach mehr Schutz
„Bitte mehr Schutz“, lautete der Wunsch der RB-Verantwortlichen an das Innenministerium für die kommenden NRW-Auswärtsspiele in Dortmund, Mönchengladbach und Schalke. Da Leipzig ausschließlich von friedlichen Zuschauern der Polizei-Kategorie A in fremde Stadien begleitet wird, neigen die Planer der Fußball-Einsätze nicht zu einem besonders hohen „Kräfteansatz“.
In einer gemeinsamen Konferenz der Polizei-Experten aus Dortmund und Leipzig vor der Bundesliga-Partie kam man überein, dass eine Hundertschaft und ein zusätzlicher „Zug“ ausreichend sein müssten. Eine Hundertschaft besteht aus drei „Zügen“ mit jeweils 38 Beamten. Zusammen mit Verkehrspolizisten und sonstigen Kräften waren rund um das Dortmunder Stadion zunächst 237 Polizisten im Einsatz.
Hundertschaft wurde später eingeflogen
Als die Lage eskalierte, wurde eine weitere Hundertschaft eingeflogen, die immer in Reserve gehalten werden muss.
Wurde in Dortmund zu knapp geplant, weil die Bereitschaftspolizei viel zu sehr „auf Kante genäht“ ist, wie intern kritisiert wird? Terror-Einsätze, Unterstützung in Brennpunkt-Stadtteilen, Großlagen wie die jüngste Kölner Silvesternacht – „wir kommen nicht mehr aus den Stiefeln raus“, klagt ein Hundertschaftbeamter.
Dem Land stehen 18 Hundertschaften zur Verfügung. Zwölf waren am Samstag im Einsatz. Beim Fußball in Dortmund, Mönchengladbach und Duisburg sowie bei Demonstrationen in Bochum und Düsseldorf. „Wir hatten alles auf den Beinen“, heißt es in den Behörden.
Sechs Hundertschaften hatten „erlassfrei“, die höchste Kategorie eines freien Wochenendes. Nur das Innenministerium kann „erlassfrei“ streichen und die Beamten trotzdem anfordern. Bei vier Millionen Überstunden, die sich inzwischen türmen, gilt dies als allerletztes Mittel.
4500 Fans aus NRW sind als gewaltbereit bekannt
Fußball-Einsätze binden bei der Bereitschaftspolizei mehr als ein Drittel der Arbeitszeit. In den NRW-Ligen halten 4500 behördenbekannte Gewalt-Fans die Beamten auf Trab. In seiner Personalnot ließ Innenminister Jäger seit 2014 den Kräfteansatz bei allen Spielen, die drei Jahre ohne Krawalle geblieben waren, „lageangepasst“ reduzieren.
Die Polizei sollte sich weitgehend aus den Stadien zurückziehen und die Fan-Begleitung bei An- und Abreise einstellen.
Immer wieder Streit um Personalstärke
Nach Protesten aus der Polizeigewerkschaft gab das Innenministerium zumindest die Entscheidung über den Kräfteansatz zurück in die Hände des örtlichen Einsatzleiters. Zunächst war diese Kompetenz auf das Jäger unmittelbar unterstellte Landesamt für polizeiliche Dienste (LZPD) übertragen worden. Reibereien um die Personalstärke gibt es immer wieder.
So hatte das Polizeipräsidium Münster erst am Sonntag für das Problemspiel Preußen Münster gegen Hansa Rostock vier Hundertschaften beantragt. Das LZPD genehmigte nur drei. Die Bilanz: Krawalle und fünf verletzte Polizisten.