Duisburg. An einem schönen Sommerabend im Juli 1999 endet der Terror der RAF – in Duisburg. Danach, glaubt die Bundesregierung, ging es nicht mehr um Politik.
- Uberfall auf einen Geldtransporter in Duisburg letzte terroristische Tat der RAF
- Rente, nicht Revolution heute Motiv der noch aktiven RAF-Mitglieder
- Bundesregierung antwortet auf Anfrage der Grünen
Die Bundestags-Drucksache 18/10744 ist bemerkenswert. Sie könnte einen Eintrag in die Nachkriegsgeschichte des Ruhrgebiets wert sein. Auf Fragen der Grünen legt sich darin die Bundesregierung über sechs Seiten auf das Ende der Aktivität der „Rote Armee Fraktion“ (RAF) fest: Am Abend des 30. Juli 1999 endete demnach der RAF-Terror. In Duisburg-Rheinhausen.
30 Jahre nach der Kaufhaus-Brandstiftung in Frankfurt, nach der „Landshut“-Entführung und der Geisel-Befreiung in Mogadischu, den spektakulären Stammheimer Selbstmorden, nach mehr als 30 unschuldigen Opfern, 26 toten Terroristen und 250 Millionen Euro Sachschaden sei es der 30. Juli 1999 gewesen. Die Regierung glaubt, dass die RAF-Terrorserie an diesem schönen Sommertag mit einem Geldauto-Überfall in einer Seitenstraße im Duisburger Stadtteil Rheinhausen ihr Finale fand.
Später, da ist sich das Bundesinnenministerium sicher, haben die „Enkel“ der RAF-Gründer Andreas Baader und Ulrike Meinhof nie wieder zugeschlagen – allenfalls noch als Kleinkriminelle und nicht in revolutionärer Absicht. Die jüngsten der Szene zugeschriebenen Raubüberfälle in Norddeutschland ordnet es zwar alt gewordenen ehemaligen RAF-Tätern zu – eben jenen, die 1999 in Rheinhausen erstmals Geld erbeuteten. Die aktuellen Überfälle würden aber nur purer Geldbeschaffung dienen „zur Finanzierung des eigenen Lebensunterhalts“.
Überfall auf einen Geldtransporter
Rente statt Revolution. Die Bundesanwaltschaft wird sich nicht einschalten, auch wenn die Verdächtigen Ernst-Volker Staub, Daniela Klette und Burkhard Garweg noch beim Überfall von Stuhr in Niedersachsen am 6. Juni 2015 gewohnt brutal vorgegangen sind. Die abgetauchten Reste der RAF-Szene werden laut Drucksache 18/10744 seit 1998 nicht mehr „nachrichtendienstlich bearbeitet, der Verfassungsschutz hat die Beobachtung eingestellt. Der Fall RAF ist zu den Akten gelegt.
Um 21.34 Uhr rollt an jenem 30. Juli 1999 in Rheinhausen ein Geldtransporter vom Parkplatz des Einkaufszentrum in der Schauenstraße. Ein Chrysler-Jeep drängt ihn ab, nötigt ihn zur Vollbremsung. Da brettert von vorn ein VW Passat in den Transporter. Drei Typen mit Sturmhauben sprinten auf die Fahrerkabine zu, drohen mit einer Panzerfaust, einer MP und einem Sturmgewehr. Die Fahrer öffnen die Ladetür. Die Gangster packen die Geldkoffer und sind weg. Die Beute: 1 015 777,85 D-Mark.
Gesucht: Staub, Klette und Garweg
Dass die Duisburger Polizei anschließend nach „drei Männern aus dem mittleren und östlichen Ruhrgebiet“ fahndet, stellt sich nach einer DNA-Analyse von Spuren in den am Tatort gefundenen Sturmhauben als falsche Fährte heraus. Hier war keine „normale“ Panzerknacker-Gang am Werk. Abriebspuren führen das Landeskriminalamt zu Daniela Klette und Ernst-Volker Staub. Beide werden seit Herbst 1989 gesucht. Burkhard Garweg stieß wohl später dazu. Alle gehören der „3. RAF-Generation“ an, der unbekannten. Auf ihr Konto gehen wohl 30 Gewalttaten und neun bis heute ungeklärte Morde in den 80er- und 90er-Jahren, darunter die an Karl Heinz Beckurts (Siemens), Alfred Herrhausen (Deutsche Bank) und Detlev Karsten Rohwedder (Treuhand).
In den heute durch Norddeutschland marodierenden und in sechs neue Taten verwickelten „Resten“ der RAF sieht die Bundesregierung keine Gefahr mehr für die staatliche Sicherheit. Es seien – anders als 1999 in Duisburg – weder Organisationsstruktur noch politische Motive erkennbar. Vor allem aber fehlen der Bundesregierung der Drucksache zufolge „Erkenntnisse dafür, dass die flüchtigen Ex-Mitglieder der 3. Generation in Deutschland künftig wiederum bewaffnete Angriffe bzw. Anschläge begehen könnten“. Allenfalls könne es „gleichgelagerte Raubdelikte“ wie in den letzten Jahren geben. Fast eine beruhigende Feststellung.
Ist das alles auch so? Bundesregierung und Bundesanwälte sind sich sicher, dass eine offizielle und acht Seiten lange Auflösungserklärung der RAF vom 20. April 1998, ernst zu nehmen ist. Darin hatte es im Selbstbekenntnis geheißen: „Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte“. Doch: Darüber hinaus wissen die Sicherheitsbehörden so gut wie nichts über das Leben der letzten RAF-Terroristen.
Sind sie heute brave Familienväter?
Zahl und Namen der Akteure sind unbekannt. Die Polizei kennt auch nicht die Verfasser der Auflösungserklärung und weiß nicht, ob bereits verstorbene Terroristen womöglich „unter falscher Identität“ beerdigt wurden. Vier, fünf RAF-Mitglieder – neben Staub, Klette und Garweg auch die seit Jahrzehnten im Irak verschwundene Friederike Krabbe – werden mit Haftbefehl gesucht. Zwei andere – Eva Haule und Birgit Hogefeld – sind nach ihrer Haft wieder frei.
Experten des Bundeskriminalamtes haben zudem vor Jahren darauf hingewiesen, dass die jüngste RAF-Generation nie in die Illegalität abgetaucht sein könnte. Ihre Mitglieder wären heute brave alternde Familienväter oder -mütter, als Reihenhaus-Eigentümer noch im Job oder schon in Rente. Rein theoretisch könnten sie noch immer Zugang haben zu erheblichen Waffenbeständen in nie gefundenen Erdbunkern. Phantome leben lang.