Ruhrgebiet. . Bei anhaltendem Frost drängen die Schlittschuhläufer auf Teiche und Seen. Gefährlich, weshalb die Städte das nicht erlauben: „Betreten verboten!“

  • Die Kälte lässt vielerorts die ersten Gewässer zufrieren. Schlittschuhläufer hoffen
  • Doch noch ist das Eis zu dünn, nicht nur die Feuerwehr warnt vor Lebensgefahr
  • Die Städte übernehmen keine Haftung, verweisen auf öffentliche Eisbahnen

Man hätte es für einen Mode-Gag gehalten, dieses Herz auf so vielen Parka-Popos kleiner Mädchen. Aber ach, es markiert die Stelle, auf die es fällt, das arme Kind. Plumps, da liegt wieder eins auf dem blanken Eis, die Schlittschuhe strampeln in der Luft, aber immerhin: Alle lachen, das gefallene Mädchen auch. Dabei mahnt die Musik aus den Lautsprechern „Don’t Get Down!“, sehr frei übersetzt: Fall nicht.

Wenigstens kann hier niemand tiefer fallen als auf den eigenen Allerwertesten. Denn unter dem Eis ist nur noch der Kennedyplatz. Im Herzen Essens kann niemand einbrechen, ertrinken, erfrieren, irgendetwas von den schrecklichen Dingen, vor denen Polizei, Feuerwehr und Lebensretter warnen: „Zu gefährlich!“, sagen die Ordnungsämter in Herne, Essen, Dortmund, „lebensgefährlich!“, sagt sogar Heinrich Vollmer, Leiter des Zentralen Betriebshofs Gladbeck.

Vorbei die Zeiten, in denen das Eislaufen auf zugefrorenen Teichen einigermaßen gelassen geduldet wurde: „Die Stadt muss die Verkehrssicherheit gewährleisten“, erklärt Mülheims Stadtsprecher Volker Wiebels.

Eis nicht dick genug, um Menschen zu tragen

Dabei hat die Kälte der vergangenen Tage und vor allem Nächte einzelne Seen und Schifffahrtskanäle mit einer Eisschicht bedeckt, sogar in der Ruhr schwammen Eisschollen mit der Strömung. Nur ist es nicht genug, um Menschen zu tragen, schon gar nicht so viele, wie begeistert auf ein und dasselbe Fleckchen Eis drängen. „Ich kann nur jeden warnen, die Eisflächen zu betreten“, sagt in Gladbeck Heinrich Vollmer, „das Eis ist zu dünn, es trägt nicht.“ Vor „großer Einbruch-Gefahr“ warnt auch die DRF Luftrettung: „Das Eis ist nicht dick genug, um es zu betreten.“

Was „dick genug“ wäre, ist dabei relativ. Fünf Zentimeter sind zu wenig, sagen Experten, 20 müssten es sein, sagen andere, die DLRG spricht von 15. Einig sind sie sich darin: So ein Teich hat Tücken. Dunkle Stellen im Eis verraten, hier ist es dünner, hier fließt ein Bächlein durch, hier nagt warme Erde am gefrorenen Wasser.

Die Niederländer nebenan sind mutiger: Im Land der Eislauf-Begeisterten legt der „Königlich Niederländische Schlittschuhläufer-Bund“ die nötige Natureis-Dicke auf acht Zentimeter fest. Landkarten melden täglich das Wachstum, geprüfte Eis-Vermesser bohren Löcher für ihre Maß-Stäbe. Und doch wagen sich die Leute auch ohne königlichen Segen auf Grachten, Seen, Poldergewässer. „Knackt etwas“, melden sie im Netz gelassen – und gehen trotzdem gleiten.

In Deutschland undenkbar: Dort stellen die Behörden „Betreten verboten“-Schilder an jedes öffentliche Ufer (die kennt Holland auch, holt sie aber zugunsten von „Betreden op eigen risico“ im Winter ein). Aus „Sicherheits- und Haftungsgründen“, heißt es bei den Wirtschaftsbetrieben Duisburg, „aus Versicherungsgründen“ beim Betriebshof Gladbeck. Niemand will die Verantwortung übernehmen, wenn wirklich jemand einbricht. Essen droht sogar mit Geldbußen, am Haus Kemnade in Bochum verscheuchte die Polizei jüngst einige Schlittschuhläufer.

Seenplatte und Schlossteichbleiben offiziell tabu

Sechs-Seen-Platte in Duisburg, Rombergpark- und Phoenixsee in Dortmund, das beliebte Hattinger Regenrückhaltebecken, der Teich am Schloss Berge in Gelsenkirchen: Offiziell bleiben sie alle tabu. Ruhr und Rhein übrigens werden in Zeiten von Industrie am Strom ohnehin nicht mehr richtig zufrieren; dem Rhein geschah das zuletzt 1942. In Witten nutzte die Feuerwehr deshalb das zugefrorene Freibad für eine Eisrettungs-Übung, in Gelsenkirchen am Wochenende genannten Teich: das freiwillige Opfer im wasserdichten Kälteanzug brach erwartungsgemäß genau in dessen Mitte ein.

Bleiben also die öffentlichen Eishallen, die es im Ruhrgebiet in allen größeren Städten gibt. Und die gut 1000 Quadratmeter unter dem Lichterhimmel des Essener Kennedyplatzes, wo gerade die kleine Lilly (4) aus Katar ihr erstes Eis begeht. „Schön leer“ ist es hier, seit die Klasse 7 des Gymnasiums am Stoppenberg das eisige Feld geräumt hat, mit rot gefrorenen Fingern, viele nur im Sweatshirt, aber in nass-gestürzten Hosen. „Alle, die lachen“, sagt ein Ordner, „müssen’s erstmal selber machen.“

Es schneit ein bisschen, Lilly bekommt zum Festhalten einen Pinguin und zum Wärmen einen Kakao und überhaupt Leihschuhe an die Füße. Das alles, zugegeben, gibt es auf Natureis natürlich nicht. Auch keine Ein-Liter-„Freundschaftskanne“ Glühwein, den Leberkäs’ und schon gar nicht zur Untermalung die Musik: Die spielt jetzt „Schau dir an, was geschieht“. Und Lilly – fällt nicht.