Essen. Ein Jahr lang darf sich Essen „Grüne Hauptstadt Europas“ nennen. Allzu grün war es zum Start allerdings noch nicht. Aber noch ist ja Winter...
- EU-Kommission kürt Essen zur „Grünen Hauptstadt Europas 2017“
- Zum Auftakt Bürgerfest im Grugapark mit bunten Lichtinstallationen
- Abertausende feiern bei klirrender Kälte
„Grüner wird’s nicht“, lobt die Grüne Hauptstadt sich selbst – dabei wäre ihr das durchaus zu wünschen. Es ist ja Winter bei ihrer Eröffnung, und der ist kalt und kahl, besonders an diesem klirrenden Januar-Wochenende: Da feiert Essen mit seinen Bürgern, „Kommt an meine grüne Seite!“, nur tragen die Bäume keine Blätter, die Wiesen im Grugapark weißen Frost, und sogar die Wolldecken wenig lebensfrohes Grau. Auf der Bühne frieren die Frühblüher, vor ihr die geladenen Gäste. Macht nichts, man muss der Sache nur grünes Licht geben!
„Macht das Beste draus!“
Und so leuchtet jeder Scheinwerfer, der sich auf die Premierenfeier und ihre Abertausenden Besucher richtet, grün, der Park drumherum in allen Farben und der Himmel blau, wie überhaupt über dem Ruhrgebiet, was an diesem Tag besonders häufig betont wird. Essen ist Grüne Hauptstadt Europas! Es gibt keinen Paukenschlag dafür, kein Feuerwerk und nicht einmal eine große Show, bloß Politiker-Gespräche auf dem Podium, einen Händedruck von EU-Umwelt-Kommissar Karmenu Vella und gute Wünsche aus der Vorgänger-Stadt Ljubljana, der bestimmt nett gemeint war: „Macht das Beste draus!“
Das Beste kommt nämlich erst noch. „Erlebe dein grünes Wunder!“, heißt das Motto für dieses Jahr, und das größte unter ihnen ist für die Essener schon jetzt, dass sie im Sommer im Baldeneysee wieder schwimmen dürfen, also: offiziell. Dafür jedenfalls gibt es den größten Applaus. Und die größte Zustimmung für einen Satz aus dem Eröffnungsfilm, den nun wirklich jeder Ruhrbürger kennt: „Manche versteh’n gar nich’, dat dat hier so grün is’.“
Essen zeigt, „wie man’s macht“
Europa jedenfalls war beeindruckt, sagt Kommissar Vella, „wie aus einer der meist-industrialisierten Städte eine der grünsten Deutschlands“ werden konnte. Essen sei ein Beispiel, „wie man’s macht“. Für ganz Europa, meint Vella, für „alle Städte des Ruhrgebiets“, sagt Oberbürgermeister Thomas Kufen. Nur weiß auch der: „Das heißt nicht, dass hier schon alles im grünen Bereich ist.“
Für die Essener, von denen er „Leidenschaft und Neugier“ fordert, an diesem Wochenende schon: Noch während es auf der Bühne auf die Politik schneit und pudelbemützte Kinder Blümchen auf Europaletten pflanzen, was auch wieder stimmig ist, geht draußen im Park das Licht an – die Menschen schieben sich in Mengen durch die Gruga, als wäre Weihnachtsmarkt und verkaufsoffener Sonntag zusammen. Sie wärmen sich an gigantischen Feuerbällen, zünden mit brennendem Eifer Hunderte Teelichte an und amüsieren sich über das Schummerlicht an den mobilen Toilettenhäuschen – nur ist sogar das heute Kunst und gewollt.
Eintritt: eine alte Plastiktüte
Im Turm ist Tanz, an den Teichen Theater, auf der Wiese Musik und ein Ballon in der Luft. Schauspieler erzählen die Geschichte von Erde und Emscher, in Bäumen hängen Fahrräder, über ausrangierte Autoscooter beugt sich von Sturm „Ela“ gefälltes Holz, eine Tierherde aus gebrauchten Kanistern leuchtet den Weg, und Äste glitzern in all’ die vielen Fotoapparate (selbst heute ist nicht alles grün, was glänzt).
Der Eintritt in dieses abendliche Vergnügen kostet nur eine gebrauchte Plastiktüte. Von Apotheken, Unterwäsche-Labels und Herrenausstattern tragen sie sie herbei, dass schon nach einer Stunde sieben 120-Liter-Beutel (Plastik!) prall gefüllt sind. Und der grünen Lunge die Luft ausgeht: Denn auch das ist Kunst, eine künstliche Lunge so lange mit Tüten zu füllen, bis sie nicht mehr atmen kann. Essen will in diesem Jahr, unter vielem anderen, plastiktütenfrei werden…
Es wird also doch noch grüner. Und Grün – ist ja auch die Hoffnung.