Recklinghausen. . Im Winter sind die Autobahnbauer dabei, die Böschungen zu durchforsten. „Selektive Gehölzpflege“ heißt das, oder auch: „Kirsche da wegmachen?“
- Als die meisten Autobahnen angelegt wurden, wurden sie viel zu dicht bepflanzt
- Jetzt, 30 bis 40 Jahre später, muss das Grün gelichtet werden. „Reingehen, bevor es brennt“
- Wegen des Klimawandels soll die Höhe der Bepflanzung langfristig reduziert werden
Für den Kirschbaum oben auf der Autobahn-Böschung wird es gerade eng. „Kirsche da wegmachen?“, fragt der Arbeiter mit der Motorsäge im Vorbeigehen. „Da wäre ein Loch“, sagt der Bauleiter. Und „Schöne Krone, wahrscheinlich gut verwurzelt“, sagt der Förster.
Ältere Kirschen, lernt man dann von ihm, können zügig faulen und unkontrolliert hinschlagen. „In zehn Jahren will ich die da nicht mehr haben“, sagt er. Sie bekommt eine Galgenfrist, andere Bäume an diesem Morgen nicht. Da liegen sie.
Das Produkt ist Verkehrssicherheit
Unterwegs mit dem Landesbetrieb „Straßen NRW“. Sein Produkt ist nicht Naturschutz, sein Produkt ist Verkehrssicherheit.
Der Ausdruck „Gehölzpflege“ für die derzeitigen Arbeiten führt daher gleich ein bisschen in die Irre: „Der normale Nachbar versteht es gärtnerisch, aber es ist mehr Wartung und Unterhaltung“, sagt Dr. Frank Eilermann, zuständig für Grundsatzfragen der Gehölzpflege in NRW und einer der wenigen Förster beim Straßenbetrieb.
Hier biegt jetzt niemand mehr ab
Er steht jetzt an der L511, einer Schnellstraße in Recklinghausen, in der Auffahrt zur A43. Hier biegt jetzt erstmal gar keiner mehr ab! Nach dem frühen Berufsverkehr haben die Männer eine Umleitung ausgeschildert und dann die Auffahrt gesperrt.
Denn in der langgezogenen Kurve fuhrwerkt lautes und schweres Gerät, und eine Handvoll Männer arbeiten hier, Männer mit Motorsägen, Schutzkleidung und Schutzhelmen. Sie hauen sozusagen rein. Denn „um 15.30 Uhr müssen wir weg sein“, sagt Bauleiter Marc Nottbeck von der Fremdfirma Enbergs aus Bottrop. Der Berufsverkehr will dann heim.
Überlebenskampf um Licht und um Wachstum
Natürlich kennt er die Proteste und die Wut der Fahrer, wenn durch Holzarbeiten Staus entstehen oder Wege versperrt sind. „Man will Verkehrssicherheit herstellen, aber es gibt viel Unverständnis“, sagt er, „vor allem wird gehupt, manche rufen. Manche halten sogar an.“ Und manche halten an – und bitten um Kaminholz.
„Selektive Gehölzpflege“ heißt das, was sie hier machen. „Als die Autobahnen vor 30 oder 40 Jahren gebaut wurden, wurden sie viel zu dicht bepflanzt“, sagt Eilermann, der Förster. Was ganz nah an der Straße steht, nehmen sie weg; was weiter hinten steht, dünnen sie aus. Damit der Überlebenskampf Baum gegen Baum um Licht und um Wachstum nicht damit endet, dass die Verlierer noch im Fallen Autofahrer erschlagen.
„Davon gibt es nur fünf in Deutschland“
„Reingehen, bevor es brennt“ nennt der 47-Jährige das. Überall an den Autobahnen sei geplant, die durchschnittliche Höhe des Grüns zu verringern: „Weil wir mehr Sturm und Regen bekommen werden.“
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In der Auffahrt geht es nun gut voran. Ein Riesengerät namens Fällgreifer („Davon gibt es nur fünf in Deutschland“) sägt Bäume ab, hält sie zugleich fest und legt sie auf einen Haufen. Bis zu 24 Meter Reichweite hat er. Der Fällbagger daneben kann dasselbe auf kürzere Entfernung. Daneben steht der Sattelschlepper, der den Bagger transportiert.
Dann: der Großhacker. Wie der Name schon sagt, er häckselt Problembäume. Dann bläst er die Häcksel in den nächsten Sattelschlepper, der in der Kurve steht. Dann ein Schlepper mit Kran, der die Stämme auflädt, die zu groß sind, als dass sie auf der Straße zu häckseln wären . . .
„Kahlschläge auf mehreren hundert Metern“
Kahlschlag sieht anders aus als hier, wird „Straßen NRW“ aber immer wieder vorgeworfen, und Anlieger sind gern auf dem bald nicht mehr stehenden Baum. Besonders in der Kritik: Wenn Pflanzen auf den Stock gesetzt werden, also radikal zurückgeschnitten.
Man könne vielerorts solche „Kahlschläge auf einer Länge von mehreren hundert Metern und bis auf eine Tiefe von über 30 Metern“ beobachten, so der Wald-Experte des „Nabu NRW“, Dirk Bieker: „In den folgenden Jahren ist daher der Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten verloren.“ „Straßen NRW“ will künftig die selektive Pflege ausbauen. Wie in Recklinghausen.