Im Essener Süden wird das simuliert, was spätestens seit den Vorfällen in zwei deutschen Atom-Meilern befürchtet und heiß diskutiert wird: der Störfall im Kernkraftwerk. Im weltweit größten Trainingszentrum

Essen. Wo Deilbach und Priehlbach sich näherkommen, nah Velberts Grenze im Essener Süden, steht etwas ab von der Straße ein siebengeschossiges Bürogebäude freundlich im Grünen herum. "Haus Nummer 173, Das Simulatorzentrum" steht recht lapidar auf dem Schild davor, und so käme man nicht ohne weiteres darauf, was sie hier simulieren: Störfälle in Kernkraftwerken nämlich, und es gibt auf der Welt kein größeres Zentrum dafür als dieses.

Warum steht eigentlich alles, was zu tun hat mit Kernkraft, immer an Grenzen?

Jedenfalls kommen Schichtleiter, Reaktor- und Turbinenfahrer fast aller deutschen Atomkraftwerke hierher, in ihrer Ausbildung und später zu Auffrischungen, und sehen planmäßig dem Ernstfall ins Auge. Die einzigen, die fehlen, sind die Kollegen aus Krümmel, wo es vor vier Wochen diesen Störfall gab . . . Doch die Pointe ist gar keine: Denn Krümmel hat einen eigenen Simulator direkt am Werk.

Alle anderen Leitstände, 13 verschiedene Typen, sind hier nachgebaut eins zu eins, für zusammen 250 Millionen Euro: der Aufbau gleich, die Farben gleich, der Lichteinfall; dazu ahmen Computerprogramme die Technik, Größe und Leistung und die Zeitabläufe der einzelnen Werke nach. "Sie sehen jetzt erst einmal ein Riesenkonglomerat verschiedenster Geschichten", sagt Eberhard Hoffmann, der hier der Geschäftsführer ist, und macht Licht in der simulierten Warte des AKW Emsland. Das ist ein Saal, und an den Wänden: Lämpchen und Regler, Knöpfe und Anzeigen, Uhren, Instrumente sonder Zahl. Zu jedem gehört ein kleingedrucktes Kürzel, KPL85AA001 zum Beispiel, "aber darunter steht Klartext", sagt Hoffmann und zeigt auf: GBA 2 DH-Abl-Beh. Zugegeben, Ingenieure wüssten jetzt wirklich Bescheid: Gebäudeabschlussarmatur 2, Druckhalteablassbehälter.

500 bis 600 Kurse geben sie hier jedes Jahr, und das Prinzip ist: Gerade war alles noch normal, aber von jetzt an geht was richtig schief. Hinten in der Warte steht nämlich ein Pult, das es im echten AKW nicht gibt; dort sitzen zwei Männer vor ihren Rechnern. Trainer, Operateure, aber man könnte sie auch lästige Störer nennen, denn sie machen nichts als Schwierigkeiten: lassen nach Belieben Pumpen ausfallen und Ventile sich verfahren, Regler regeln nicht mehr und Strom kommt auch grad keiner; und die Techniker aus den Kernkraftwerken müssen dann sehen, und zeigen, wie sie damit fertig werden.

"Das Spektrum ist beliebig groß, sie können auch 15 Probleme zugleich einspielen", sagt Hoffmann. Oder einen richtigen Störfall: Ein Rohr ist gerissen, Wasser strömt aus, das ganze Kühlungssystem ist gefährdet. Dann hupen Sirenen, flackern alle denkbaren Lichter, das sieht alles recht bedrohlich aus - das soll es ja auch: "Das Ziel ist, dass die Männer zwar den Adrenalinspiegel spüren, aber trotzdem richtig handeln", sagt Dieter Held, Abteilungsleiter im Simulatorzentrum für Brunsbüttel, Philippsburg 1 und Isar 2.

"Wir schulen hier nicht auf den perfekten Menschen, weil es eine Utopie ist, Menschen könnten fehlerfrei sein", sagt Geschäftsführer Hoffmann: In Atomkraftwerken würden "menschliche Irrtümer aufgefangen durch den Sicherheitsautomatismus". Daher, meint einer der Trainer, habe er "ein Faible für die kleinen Fehler". Sie seien schwerer zu finden als die großen Störungen. Und das schon im Betriebshandbuch: Allein das für Emsland besteht aus 80 Ordnern.