Der „Schüttel-Tod” des erst zwei Wochen alten Säuglings Justin im Januar hat auch in Dorsten eine intensive Diskussion ausgelöst, wie das Wohl von Kindern wirksam geschützt werden kann.
Der tragische Fall belegt zugleich, dass es einen vollkommenen Schutz nicht gibt. Johannes Groppe von einem Fachinstitut der Uni Essen/Duisburg: „Alle Seiten haben klar und besonnen reagiert. Die Prüfung hat zweifelsfrei belegt: Es wurde alles richtig gemacht.”
Aufgeschreckt durch die scheinbare Zunahme von Kindstötungen hatte die Stadt das Institut bereits ein halbes Jahr vor dem „Fall Justin” beauftragt, Vorschriften und Handlungskonzepte zu überprüfen und ein „Qualitätshandbuch” für Mitarbeiter zu erstellen. Ein Ergebnis dabei: Die Stadt muss sich noch stärker mit anderen Diensten vernetzen (Polizei, Gesundheitsfürsorge, Ärzte, Krankenhaus, Beratungsstellen). Über die Zusammenarbeit werden derzeit Vereinbarungen getroffen. Wichtig sei zudem, Zugang zu Risiko-Familien zu finden, so Groppe. Dazu wird mit dem neuen Familienbüro (Start nach den Sommerferien) in Dorsten auch ein aufsuchender Dienst installiert, der Eltern mit neugeborenen Kindern besucht und bei Bedarf Hilfe und Informationen anbietet, berichtet Sozialdezernent Gerd Baumeister.
Zumindest eines merkt die Stadtverwaltung deutlich: Die Bürger sind nachhaltig sensibilisiert für das Schicksal von Kindern. Im zweiten Halbjahr 2007 gingen 52 Meldungen über mögliche Kindesgefährdungen beim Jugendamt ein, in den ersten vier Monaten 2008 schon 72. Stefan Breuer, Teamleiter beim Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD), der solchen Hinweisen nachgeht: „Mit diesen steigenden Zahlen müssen wir uns beschäftigen.” In konkreten Einzelfällen gegen den Willen der Eltern einzugreifen, ist für die Stadt jedoch sehr schwer, berichtet Breuer.
Sein Fazit: „Es ist Fakt: Kinder haben kein Recht auf optimale Verhältnisse.” Johannes Groppe ergänzt: „Prävention bedeutet nicht, dass es uns gelingt, solche Fälle zu verhindern. Wenn die Eltern keine Hilfe annehmen, bleibt den Behörden nur noch der rechtliche Korridor. Und der ist eng.” Wie eng Gerichte die Elternrechte auslegen, das hat die Stadt zuletzt auch im Fall Justin erfahren. Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen die Eltern mussten eingestellt werden. Die Tatwahrscheinlichkeit für Vater und Mutter des Säuglings liege bei 50:50, erfuhr die Stadt aus den Akten. Gleichwohl konnte die Mutter in einem Eilverfahren vor dem Oberlandesgericht Hamm durchsetzen, dass die beiden älteren Töchter wieder aus einer Pflegefamilie zu ihr zurückkehren dürfen. Die Mutter sei „in jeder Hinsicht kooperativ” und nehme erzieherische Hilfen an, berichtet Sozialdezernent Gerd Baumeister. Ein Gutachten über die „Erziehungsfähigkeit” der Frau ist noch in Arbeit und soll bis zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht fertig sein.