Paris. Sabine Dardenne hat das Martyrium im Verlies des Kinderschänders überlebt. Ihre grauenvollen Erlebnisse hat die junge Frau in einem Buch verarbeitet: Schreiben als Überlebenstechnik.
Sabine Dardenne hat das Martyrium im Verlies des Kinderschänders überlebt.Ihre grauenvollen Erlebnisse hat die junge Frau in einem Buch verarbeitet: Schreiben als Überlebenstechnik
Brüssel. Der beklemmende Missbrauchsfall im Keller von Amstetten lässt Erinnerungen wach werden an das berühmt-berüchtigte Verlies von Marc Dutroux: 80 Tage lang wurde die zwölfjährige Sabine Dardenne im Wohnhaus des Kinderschänders und Mörders gefangen gehalten und missbraucht. In einem aufrüttelnden Buch hat Sabine Dardenne ihr Martyrium verarbeitet. Der Titel: "Ihm in die Augen sehen".
"Ich war zwölf, nahm mein Fahrrad und machte mich auf den Weg zur Schule. Ich heiße Sabine." So beginnen die dramatischen Schilderungen der heute 24-Jährigen. Es ist der 28. Mai 1996, der Tag, der das Leben des Mädchens aus behütetem Elternhaus beinahe zerstörte. Sabine wurde Teil eines Verbrechens, das die ganze Welt schockierte und den belgischen Staat an den Rand des Abgrunds brachte.
Was die Ermittler erst später ans Tageslicht förderten: Als Sabine im dunklen, stickigen Keller des Grusel-Hauses eingekerkert war, hatten der pädophile Verbrecher und seine skrupellosen Komplizen schon vier Mädchen auf dem Gewissen: Eefje und Ann sowie Julie und Melissa.
Betäubt und versteckt in einer Metallkiste im Kastenwagen schleppten sie Sabine ins Gefängnis: ein schmales Loch, 90 Zentimeter breit, 334 Zentimeter lang, fensterlos und finster, nur ein Ventilator pumpte manchmal frische Luft hinein. Sie musste sich von schimmeligem Brot ernähren, trank Wasser aus einem Kanister und aß kalte Buletten mit Tomatensoße aus der Konservendose. Unten in der Hölle vegetierte sie auf einer dreckigen Schaumstoffmatratze, oben in seinem Schlafzimmer, das sie "die Marterkammer" taufte, fesselte er sie, zog sie aus und missbrauchte sie auf perverse Weise. "Du bist meine Frau", habe er ihr gesagt. Von dem nackten Kind machte er Polaroidfotos.
Sabine Dardennes Buch, das seit dem Erscheinen im Herbst 2004 in Dutzende Sprachen übersetzt wurde und in Millionenauflagen verkauft wurde, ist ein Bestseller. Leser berichten, dass ihnen bei der quälenden Lektüre des Horrorberichts Tränen in den Augen standen. Wie überlebt ein Kind diese Höllenqualen? Wie verarbeitet es diese scheußlichen Bilder, die sich für ewig eingebrannt haben?
"Ich war ein rebellisches Mädchen", analysiert Sabine Dardenne sich selbst. Ihre Überlebenstechnik ist das Schreiben. Schon im Verlies schrieb sie Briefe an ihre Eltern, Briefe, die nie abgeschickt wurden. So entstand zusammen mit einem Kalender ein Tagebuch des Leidens, das später im Prozess als erdrückendes Beweismaterial diente. Nach der Befreiung schrieb die couragierte junge Frau ihre erschütternde Leidensgeschichte auf. Mit Erfolg. Als sie Marc Dutroux im Gerichtssaal in die Augen schaute, triumphierte Sabine Dardenne: "Und es war dieser Dreckskerl, der den Blick zu Boden richtete."