Wuppertal. Nach 17 Verhandlungstagen soll kommende Woche plädiert werden. Die angeklagte Pflegemutter will die Fünfjährige halbtot gefunden haben. Auch ihr zehnjähriger Sohn, der als aggressiv gilt, steht im Fokus der Fragen.
Es ist der letzte Beweistag im Fall Talea, der 17. Prozesstag vor dem Wuppertaler Landgericht. Und obschon sie den Fall gedreht und gewendet haben, obwohl der Vorsitzende Richter Stefan Istel hartnäckig fragt, nicht nachlässt, gibt es auf die entscheidenden Fragen keine Antworten. War es wirklich Kaja G., die ihr Pflegekind, die fünfjährige Talea, tötete? Indizien, tatsächlich, gibt es viele. Beweise oder ein Geständnis jedoch nicht. Und, auch das lässt sich nur vermuten: Was geschah wirklich in den Stunden vor Taleas Tod?
Sie ist das erste Pflegekinder der 38-Jährigen
Als Talea am 18. März 2008 starb, hatte das Mädchen schon Furchtbares hinter sich. Zuhause, bei ihren leiblichen Eltern, gab es Probleme mit Alkohol, flogen bei den häufigen Krächen auch schon mal Möbel. Im September 2007 kam Talea zu ihrer Pflegemutter, der 38-jährigen Wuppertalerin, einer Mormonin, die selbst Mutter zweier Kinder ist. Talea ist das erste Pflegekind der Frau. Eine Kurzzeitpflege, die nur ein paar Monate dauern sollte. Doch schon nach wenigen Wochen fielen Heike T., der Leiterin des Kindergartens, den Talea besuchte, blaue Flecken bei dem Kind auf.
Die Erzieherin befragte Pflegemutter und Kind, erhielt ausweichende Anworten. Sie sei die Treppe hinuntergefallen. Ab Januar machte sich Heike T. Notizen, meldete sie ihre Beobachtungen zum ersten Mal dem Jugendamt. „Im Februar zeigte mir Talea eine rote Stelle an ihrer Hüfte und sagte 'Da hat Kaja mich getreten, weil ich Stifte fallen gelassen habe'. Ein paar Tage später hatte Talea wieder einmal blaue Flecken, dieses Mal auf beiden Wangen”, erinnert sich Heike T. Am 18. Februar telefoniert sie erneut mit dem Jugendamt. „Ich habe von dem Tritt erzählt, bekam aber keinerlei Reaktion. Darüber habe ich mich gewundert. Ich habe sehr auf einen Hausbesuch des Jugendamtes in der Familie gehofft”, sagt die Erzieherin.
Versuch, das Mädchen zu ersticken
„Tod durch Unterkühlung” lautet das Ergebnis der Obduktion, die der Rechtsmediziner Felix Mayer einen Tag nach Taleas Tod vornahm. Ihr Körper sei in dem kalten Badewasser auf weit unter 28 Grad abgekühlt worden. „Vorher, in einem Zeitraum von 24 Stunden, hat es jedoch den Versuch gegeben, das Mädchen zu ersticken. Vermutlich wurden ihr Mund und Nase zugehalten”, erläutert Mayer gestern.
Taleas Körper sei mit Hämatomen übersät gewesen, so Mayer. Und dann zählt er die Verletzungen auf: im Gesicht, hinter den Ohren, am Nacken, an den Armen, am Po, am Rücken, an den Oberarmen, am linken Oberlid. Es ist einer der wenigen Momente in diesem Prozess, in dem Kaja G. so etwas wie Gefühle zeigt. Lange Zeit sitzt sie mit hinter ihren Händen verstecktem Gesicht dar, duckt sich beinahe unter ihren Tisch, wischt sich dann und wann verstohlen über die Wangen. Kaja G., die sonst so Kühle, die Strenge, ja, die äußerlich Harte.
Talea lag halbtot in der Badewanne
Folgt man ihrer Version, so fand sie Talea halbtot in der Badewanne, nachdem sie über Stunden nicht nach ihr gesehen hatte. Sie hatte telefoniert, ihren zehnjährigen Sohn Nils nach Remscheid gefahren, habe gedacht, Talea schlafe.
Nils. Mit ihm teilte sich Talea das Zimmer. Bevor sie in die Familie kam, war er in psychiatrischer Behandlung. Sein Lehrer beschreibt ihn als äußerst aggressiv. „Hätte auch die Hand eines Zehnjährigen ausgereicht, Talea in der Wanne zu halten?”, fragt Richter Istel den Rechtsmediziner und der bejaht. Denn auch das ist unklar: Warum blieb die Kleine so lange in der Wanne liegen bis sie auskühlte? Und die Frage, ob Kaja G. womöglich ihren Sohn deckt, wird sicher in den Plädoyers nächste Woche eine Rolle spielen.