Ruhrgebiet. . Das Spiel „Pokémon Go“ hat in kürzester Zeit das Ruhrgebiet erobert. Die digitalen Fabelwesen sind unter uns – aber nur mit dem Smartphone zu sehen.
Sie sind überall im Ruhrgebiet. Leute, die auf Smartphones starren. Doch sie wollen nicht schreiben, nicht lesen, keine Fotos gucken. Sie wollen mit ihren Handys Pokémon jagen, kleine japanische Fantasie-Wesen. „Pokémon Go“ heißt das Spiel, das derzeit die Welt erobert. Seit Mittwoch ist es offiziell auch in Deutschland zu bekommen, zuvor musste man es sich über Umwege herunterladen. Für viele ältere Menschen ist es eine fremde Welt.
Nur wer sich bewegt, kommt auch im Spiel voran
Sarah und Raffael aber gehören zu denen, die sich auskennen in diesem Universum. Die beiden Mittzwanziger sind groß geworden mit den Fabelwesen aus dem Fernen Osten. „Das sind Kindheitserinnerungen“, sagt die 26-Jährige. „Pokémon Go“ lässt sie mit einer Technik wieder aufleben, die sich „Augmented Reality“ nennt. Das kleine Programm nutzt das in allen neuen Smartphones eingebaute Ortungssystem GPS und den mobilen Internet-Zugang der Telefone. So mischt es, vereinfacht gesagt, reale und virtuelle Welt. Nur wer bei „Pokémon Go“ auf den Bildschirm seines Telefons guckt, kann das digitale Getier sehen, das Nintendo mit Hilfe komplizierter Algorithmen überall auf dem Globus positioniert hat. Wie bei einer Schnitzeljagd müssen die Spieler sich bewegen, um neue Exemplare zu finden und zu fangen. Oder um Arenen zu entdecken, in denen die „Taschenmonster“ gegeneinander antreten können.
„Eigentlich wollte ich heute zu Hause einen Film gucken“ erzählt der 12-Jährige Fynn. „Aber hier am Phönix-See nach Pokémon zu suchen, ist cooler.“ Das findet Michael (32) auch. „Meine Kumpel gehen schon seit letzter Woche jeden Abend nach dem Essen noch ein wenig auf die Jagd. Jetzt hat es mich auch gepackt.“
100 Kilometer zu Fuß in fünf Tagen
Ortswechsel. Ruhr-Universität Bochum am Mittag. Jonas (21), Robert (21) und Elif studieren Wirtschaft und spielen Pokémon Go. „Fast jeder hier spielt das“, sagt Elif. Jonas nickt. Rund 100 Kilometer ist er in den vergangenen fünf Tagen gelaufen, um neue Pokémon-Exemplare zu finden. Kein Einzelfall, wie Robert weiß. Ein Kumpel von ihm ist gerade bei der Bundeswehr. „Da verschwindet dann der ganze Trupp im Wald. Pokémon suchen.“
Harmlos im Vergleich zu dem was sich in Ländern abspielt, in denen schon länger zur Pokémon-Jagd geblasen wird. In den USA reisen angeblich Menschen durch das nicht eben kleine Land, um seltene Exemplare zu fangen. In den Niederlanden sah sich das Akademische Medizinische Zentrum (AMC) in Amsterdam gezwungen, Besucher aufzufordern, beim Spielen von „Pokémon Go“ nicht mehr in nichtöffentliche Bereiche des Krankenhauses einzudringen. „Es gibt tatsächlich ein krankes Pokémon im AMC, aber wir sorgen gut für es“, teilte die Klinik mit.
Das Schlimmste für die Spieler: Der Akku ist leer
Im Revier spielen sich Dramen bisher dagegen höchstens ab, wenn das Smartphone bei der Begegnung mit einem schon lange gesuchten Exemplar den Geist aufgibt. Denn während die Sorge um einen übermäßige Datenappetit des Programms sich nicht bestätigt hat, ist der Energiehunger des Spiels noch größer als befürchtet. Je nach Modell hält der Akku nur zwei, höchstens drei Stunden durch. „Ohne mobiles Ladegerät gehe ich schon gar nicht mehr aus dem Haus“, hat Elif daraus gelernt.
Auch an der Essener Zeche Zollverein warten Pokémon auf ihre Entdeckung. „Pinsir“ haben sich versteckt, und das scheint keine zufällige Ortswahl zu sein. Schließlich sind sie im Fabeltier-Universum als hervorragende Erdbuddler bekannt. Das Programm, scheint es, denkt mit. „Aber eigentlich“, mault Leon (16), „ist es ziemlich ruhig hier in Sachen Pokémon.“
Ganz anders als am Essener Hauptbahnhof. Virtuelle Gestalten, wohin das Telefon-Display auch blickt. Und alle paar hundert Meter eine Arena in der Fußgängerzone, die sich aber nur Eingeweihten zu erkennen gibt: Leuten, die auf Smartphones starren.