Essen/Gelsenkirchen. . Gizem Karagülmez hilft Schülern ehrenamtlich beim Start ins Uni-Leben. Die 24-Jährige will fürs Studium begeistern und mit ihrer Geschichte Mut machen.

Aus Gizem Karagülmez sprudelt es nur so heraus. Sie redet schnell, sie gestikuliert und sie lächelt dabei – ständig. Ihre Art ist ansteckend. Sie soll, sie muss es sein. Gizem hilft Schülern auf dem Weg ins Studium. Sie will sie begeistern und ermutigen. Gerade schlendert sie mit Raphael Venz über den Essener Campus.

Der 18-Jährige möchte nächstes Jahr Abitur an der Gesamtschule Horst in Gelsenkirchen machen und danach studieren, als erster in seiner Familie. Was genau – das weiß er noch nicht. Und wie alles funktioniert an der Uni – auch das weiß er nicht genau. Deswegen ist er mit Gizem hier.

Auch wenn Gizem Karagülmez zu Raphael Venz aufblickt – die Richtung gibt die junge Frau vor. Sie zeigt, wo es am Campus Essen lang geht.
Auch wenn Gizem Karagülmez zu Raphael Venz aufblickt – die Richtung gibt die junge Frau vor. Sie zeigt, wo es am Campus Essen lang geht. © Daniel Tomczak / FUNKE Fotoservices

Die 24-jährige Studentin arbeitet ehrenamtlich in dem Projekt „Wer will der kann – Isteyen yapar!“ der Türkisch-Deutschen Studierenden und Akademiker Plattform (TD). Das vom „Talent Award Ruhr“ ausgezeichnete Mentoren-Programm, unterstützt Schüler der Klasse neun bis zwölf aus „hochschulfernen Familien, die sich für ihren höheren Bildungsabschluss engagiert einsetzen wollen.“

Mentoren-Projekt öffnete sich nach einem Jahr

Die Gelsenkirchenerin Gizem war so eine Schülerin. Heute sagt sie selbstbewusst, wohin sie will: „Mein Traum ist es, später Direktorin an einer Schule im Ruhrgebiet zu werden.“ Wieso im Ruhrgebiet? „Hier ist meine Heimat“, sagt sie. „Ich fühle mich hier sicher und kenne mich aus.“

Genauso wie an der Uni in Essen. Die Lehramtsstudentin erzählt Raphael von Vorlesungsverzeichnissen, aber auch von Partys für Erstsemester. Raphael hört genau zu. Noch ist alles neu für ihn – und weit weg. In etwa einem Jahr soll es sein Alltag sein. „Als Mentorin versuche ich, alle offenen Fragen zu klären“, sagt Gizem. Pro Jahr betreut sie etwa fünf angehende Studenten. „Wir gehen zusammen zu Vorlesungen, um mal reinzuschnuppern. Später helfe ich dann bei Bafög-Anträgen, der Einschreibung und beim Erstellen des Stundenplans. “

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Das Projekt „Wer will der kann – Isteyen yapar!“ wurde 2009 gegründet. Ursprünglich waren die Maßnahmen für Jugendliche mit Migrationshintergrund gedacht, insbesondere für die mit türkischen Wurzeln. Ab dem zweiten Jahr öffnete sich die Organisation. „Wir wollen nicht ausgegrenzt werden, also wollen wir auch niemanden ausschließen“, sagt Gizem, die mit sechs Jahren aus der Türkei nach Deutschland kam, in ein fremdes Land.

„Meine Eltern wollten mir und meinem Bruder eine bessere Bildung ermöglichen.“ In der Grundschule hatte Gizem keine großen Probleme, wechselte daher auf das Grillo Gymnasium in Gelsenkirchen. Dann ein Bruch: Das folgende halbe Jahr beschreibt sie heute „als schlimmste Zeit meines Lebens“. „Mein Deutsch war noch nicht gut genug, ich bekam schlechte Noten und ließ mich runterziehen.“ Im zweiten Halbjahr wechselte Gizem auf die Gesamtschule Horst. „Da wurde vieles leichter. Ich war im Stoff weiter als der Rest und habe gemerkt: So schlecht bin ich gar nicht.“

Steiniger Weg als Mutmacher

Schnell wurde Gizem klar, dass sie studieren möchte. Nur wie alles funktioniert, wusste sie anfangs ebenso wenig wie ihr Schützling Raphael heute. Die ersten Semester fielen ihr schwer. Auch Gizem musste der Weg gezeigt werden. Sie war im ersten Jahrgang, der durch die TD-Plattform unterstützt wurde. Sieben Jahre später ist Gizem im zehnten Semester, hat ihren Bachelor-Abschluss in Mathematik und Sport fast in der Tasche.

Verdeckter Talentscout

Auch als studentische Hilfskraft arbeitet Gizem in der Talentförderung.

Sie unterstützt Talentscouts von „Meine Talentförderung“. Sie suchen talentierte Schüler, die von selbst nicht auf die Idee kämen, zu studieren.

Leiter Suat Yilmaz sagt über Gizem: „Sie ist quasi ein verdeckter Talentscout. Sie hat den Vorteil, als Studentin viel näher an den Schülern dran zu sein.“

Und sie ist die Projekt-Verantwortliche für ihre ehemalige Schule. Sie plant und leitet selbstständig Infoveranstaltungen, organisiert Gruppenbesuche in Betrieben, Universitäten oder Hochschulen und sucht weitere Mentoren. Viele von ihnen teilen einen steinigen Weg ins Studentendasein, sind wie Gizem ehemalige Teilnehmer des Förderprojekts.

„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, sagt Gizem. Sie hat das Credo der TD-Plattform verinnerlicht: „Es geht nicht darum, dass jeder Mensch studieren muss. Die Möglichkeit sollte er aber haben.“

Wie Raphael, der vielleicht irgendwann so selbstsicher wie Gizem über den Campus geht. Und einem Schüler die Uni-Welt erklärt.