Essen. . Bundesverfassungsschutz hatte das verdächtige Täter-Duo als „Mitläufer“ auf dem Schirm. Aggressivität der Szene nimmt laut Ministerium zu.

Es war vor genau einem Monat, nach den Anschlägen von Brüssel, als auch das Land NRW wieder einen bangen Blick auf „seine“ Salafisten warf. Einen „harten Kern“ von 120 gefährlichen Personen hätten die Behörden nun besonders aufmerksam im Blick, hieß es aus dem Innenministerium. Die beiden 16-Jährigen aus Essen und Gelsenkirchen, die die Polizei am Donnerstag festgenommen hat, waren wohl nicht dabei: diese zwei Halbstarken mit Kappe, die nach jüngsten Erkenntnissen ihre Rucksackbombe am Tempel der Sikhs abwarfen und sich beinahe noch selbst dabei verletzten.

Was man weiß über das Duo, ist, dass es „ganz offensichtlich Kontakte zum Islamismus“ gab, wie Innenminister Ralf Jäger (SPD) sagt. Und dass das Bundesamt für Verfassungsschutz sie als Mitläufer der salafistischen Szene führte, nicht aber zu den 612 gewaltbereiten Extremisten zählte, die in NRW intensiv beobachtet werden. Als es vor vier Wochen also noch „keine konkreten Hinweise auf Anschläge in NRW“ gab, standen sie auch nicht im Fadenkreuz. Der NRW-Verfassungsschutz hatte das Duo sogar ausdrücklich nicht auf dem Schirm, weil den hiesigen Berhörden die Speicherung minderjähriger Gefährder verboten ist.

2700 radikale Islamisten in NRW zählte Jäger im März auf. Das waren erneut mehr als im Dezember: Nach den Pariser Anschlägen soll es 2500 Salafisten im Land gegeben haben, 500 davon gewaltbereit. Die Hinweise, so der oberste NRW-Verfassungsschützer Burkhard Freier damals, hätten sich „seit Paris verdreifacht“.

Die Aggressivität der Szene, so der Innenminister, nehme zu. Auf der Internetseite des Verfassungsschutzes wird er so zitiert: „Die Radikalisierung von zunehmend mehr – vor allem junger – Menschen (...) stellt eine Herausforderung für die gesamte Gesellschaft dar.“ Vor allem wird dort vor Kleingruppen und Einzeltätern gewarnt, Söhnen der zweiten, dritten und vierten Generation eingewanderter Familien mit deutschem Pass – eine Beschreibung, die auch auf die beiden mutmaßlichen Essener Täter passt.

Eine Rundum-Überwachung sei weder rechtlich noch personell umsetzbar, sagte Jäger damals, der Apparat sei aber „hochgefahren und sensibilisiert“. Am Donnerstag feierte er die Polizei für den „schnellen Fahndungserfolg“: Man handle „entschlossen gegen salafistische Extremisten“, der Ermittlungsdruck in NRW sei hoch.

Ob die Tatverdächtigen über Kontakte zur so genannten „Lohberger Brigade“ verfügten, möglicherweise sogar eine Verbindung zum Islamischen Staat (IS) hatten, wird von den NRW-Sicherheitsbehörden mit größter Zurückhaltung bewertet. Mitglieder der Organisation aus dem Dinslakener Stadtteil Lohberg waren 2013 nach Syrien und in den Irak in den „Heiligen Krieg“ gezogen. Als die „Brigade“ 2013 formal aufgelöst wurde, waren die jetzt Tatverdächtigen gerade einmal 13 Jahre alt. Trotzdem wird ermittelt, ob es Bekanntschaften zu Salafisten einer zweiten Lohberger Generation gab.

Schon mehrere Anschlagsversuche in Nordrhein-Westfalen

Die Landesregierung wirkte gestern nicht glücklich darüber, dass Essens Polizeipräsident Frank Richter von „klaren Bezügen zur Terrorszene“ sprach und einem möglichen ersten IS-Anschlag auf deutschem Boden. Es seien noch viele Fragen zu klären, hieß es.

Geplant, sogar versucht wurden Anschläge mit islamistischem Hintergrund in NRW indes bereits mehrfach. Im Juli 2006 deponierte der Libanese Hajj Dibs am Kölner Hauptbahnhof einen mit einer präparierten Gasflasche beladenen Rollkoffer im Regionalexpress von Mönchengladbach nach Koblenz. Ein Komplize platzierte eine zweite Kofferbombe im Zug von Aachen nach Hamm. Nur weil das abgefüllte Gemisch wegen eines „handwerklichen Fehlers“ nicht explodierte, kam es nicht zur Katastrophe.

Gut ein Jahr später, am 4. September 2007, zerschlugen Spezial-Einsatzkräfte der Polizei die Sauerland-Gruppe. Im Dorf Oberschledorn verhafteten die Beamten Terroristen, darunter mehrere zum Islam konvertierte Deutsche. In der Abgeschiedenheit des Sauerlandes hatten sie Material für Autobomben gelagert. Was die Männer nicht ahnten: Nach einem Tipp der US-Geheimdienste wurden sie monatelang von 500 deutschen Fahndern überwacht und abgehört.