Gelsenkirchen. Stefanie und Martin Schulze Schleithoff haben einen Traum: Sie wollen Lebensmittel alternativ produzieren – und in Gemeinschaft.

„Wir geben den Lebensmitteln ihren Wert zurück.“ Stefanie Schulze Schleithoff, die Kölnerin, die wegen der Liebe auf einen Resthof nach Gelsenkirchen-Resse gezogen ist, möchte ihren Traum von einer fairen, transparenten und nachhaltigen Landwirtschaft verwirklichen.

Wenn ihr Mann Martin im Juli die ersten Zucchini auf dem Lindenhof erntet, bezahlen die Menschen, die sich ihrem Projekt angeschlossen haben, nicht für das einzelne Kilo. Sie beteiligen sich an den Kosten für die gesamte Landwirtschaft, bekommen Tomaten, Fleisch und Eier dafür. Ihr monatlicher Obolus sorgt für ein gerechtes Einkommen der Familie Schulze Schleithoff, so dass sie ohne Preisdruck und Wachstumswahn ökologisch sinnvoll Landwirtschaft betreiben kann.

60 Leute müssen mitmachen

Solawi (solidarische Landwirtschaft) heißt dieses Konzept, bei dem Gemüse und Gemeinschaft gleichermaßen wachsen sollen – oft beworben mit dem Wortspiel „Kraut-Funding“, man kann aber auch einfach Genossenschaft sagen. 60 Menschen, so haben Stefanie und Martin Schleithoff ausgerechnet, müssen sie von ihrer Idee begeistern. Dann kann das Projekt auf dem 12,5 Hektar großen Hof gelingen.

In Dortmund haben sich bereits im März vor zwei Jahren 60 Menschen, die gemeinsam ackern wollen, zur ersten Solawi im Ruhrgebiet, der „Kümper Heide“ im Norden der Stadt, zusammengeschlossen. Mattis Kögler ist einer von ihnen. Der gelernte Sozialtherapeut spricht gern über seine Freude, die Hände in die Erde zu stecken. „Ich hatte einen Wunsch, etwas zu verändern, und habe eine Alternative zum globalen Wahnsinn in der Lebensmittelproduktion gefunden.“

Regional und saisonal sind die Schlagwörter der Solawis. Immer freitags können die Genossenschafts-Mitglieder in Gelsenkirchen demnächst ihre Ernte einfahren. Je nach gezahltem monatlichen Beitrag (von 16 bis 158 Euro) bekommen sie frisches Gemüse, Obst und Apfelsaft, Eier von freilaufenden Hühnern und Fleisch. Von Tieren, die Tageslicht sehen und auf Weiden leben durften.

„Mit etwas Glück gehen unsere Hinterwalder Rinder in 25 Jahren mit uns in Rente“, sagt der 31-jährige Martin Schulze Schleithoff. Die „Coole Jule“ scheint ihn zu verstehen und leckt mit ihrer rauen Zunge seinen Unterarm. Neben Jule genießen die ersten drei Bentheimer Weidenschweine, die auf dem Lindenhof angekommen sind, im frischen Stroh die Mittagssonne. Völlig unaufgeregt und neugierig streckt eine Sau dem Besucher ihre „Steckdosen-Nase“ entgegen.

Neu ist das Konzept der Solawis nicht. In den 60er-Jahren in Japan entwickelt, schwappte es nach Amerika über. Obwohl sich in der Nähe von Hamburg bereits 1988 auf dem Buschberghof Verbraucher und Landwirte zusammenschlossen, wurde die Idee in Deutschland erst 2005 richtig populär: nach der Öko-Doku „Farmer John – mit Mistgabel und Federboa“ über das Schicksal des Hippie-Landwirts John Peterson aus Illinois, USA.

Inzwischen haben sich deutschlandweit 95 Höfe zum Netzwerk solidarische Landwirtschaft zusammengeschlossen. Zum Vergleich: Beim Statistischen Bundesamt sind knapp 300 000 landwirtschaftliche Betriebe gemeldet.

Die Genossen sollen mitbestimmen

„Uns begeistert, dass wir eine kleinbäuerliche Landwirtschaft wieder tragfähig machen“, sagt Stefanie Schulze Schleithoff. Dabei können die Menschen mithelfen. „Es wird etwa sechs bis sieben Tage im Jahr geben, an denen sie uns zum Beispiel bei Ernte und Aussaat unterstützen können“, sagt ihr Mann, „aber nicht müssen.“ Sie dürfen und sollen auch mitbestimmen, was angepflanzt und produziert wird. „Wenn sie fordern, dass alle Hühner rote Strickmützen tragen sollen – dann rechnen wir ihnen vor, was es kostet“, scherzt Schulze Schleithoff. „Wenn sie bereit sind, es zu finanzieren – bitte, gerne.“