Essen. Eine Woche nach Silvester und den Übergriffen in Köln sind noch viele Fragen offen. An Erklärungsversuchen aber mangelt es keineswegs.
Eine Woche nach Köln, und das Land hat immer noch viele Fragen. An Spekulationen mangelt es nicht, es wird entschieden vermutet und gezielt im Nebel gestochert.
Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker etwa hatte schnell erklärt, man habe keine Hinweise darauf, dass Flüchtlinge die Täter waren. Der Kriminologe Christian Pfeiffer (71) dagegen glaubt, dass unter den Tätern von Köln, die bislang offiziell als „Männer aus Nordafrika oder aus dem arabischen Raum“ beschrieben werden, durchaus Flüchtlinge gewesen sein könnten; „junge alleinstehende Männer, die in dieses Land kommen und nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen“. Nur aus lauter Angst vor der AfD werde verschwiegen, was naheliege.
Kriminologe: "Ausflüchte erregen den Volkszorn"
Wegzusehen und dann zu sagen, das ist alles nur organisierte Kriminalität, könne aber nicht die Antwort sein. „Wir müssen die Probleme als solche erst mal ernst nehmen und beim Namen nennen. Mit Halbwahrheiten kommt man hier nicht durch. Es sind gerade diese Ausflüchte, die den Volkszorn erregen“, sagte Pfeiffer der „Welt“.
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Die Vorfälle in Köln nennt der Kriminologe ein Alarmsignal. Die bisher „isolierteste Gruppe“ der jungen, alleinstehenden Männer müsse besser integriert werde. Wichtig seien etwa mehr Sprachlerngruppen und geschultes Personal für Sportvereine. Gerade dort könnten diese jungen Männer aufgefangen werden.
Harald Moritz Bock wiederum saß gerade in einem türkischen Café, da kam das Gespräch auf Köln. „Sie hätten mal hören sollen, wie die Türkinnen geschimpft haben, was da passiert ist“, sagt Bock, der Generalsekretär der „Deutsch-Arabischen Gesellschaft (DAG)“.
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Sie hat schon seit Längerem ein „Marhaba-Willkommensprojekt“ angestoßen, um zu „erreichen, dass jene, die . . . ihre Heimat verließen, zu willkommenen Gästen bzw. verantwortungsvollen Mitbürgern unseres Landes werden.“ Marhaba („Willkommen“) sieht etwa Deutschkurse vor und die zügige Vermittlung von Regeln wie „Wer hier leben will, muss akzeptieren, dass staatliches Recht gilt, kein religiöses ... Er muss lernen, dass Minderheiten Rechte genießen ... Er muss sich darauf einlassen, dass Frauen mit dem gleichen Respekt zu begegnen ist wie Männern.“
"Mit der ganz weichen Welle schaffen wir es nicht"
„Wir sehen, dass Leute noch gewaltigen Raum haben, sich uns anzupassen“, sagt Bock. Die Täter von Köln hält er für „Leute, die sich schon auskennen hier“. Man müsse auch mal „Kante zeigen“ und einen Verdächtigen zur Aufnahme der Personalien „eine Nacht auf die Wache mitnehmen. Das hilft. Mit der ganz weichen Welle schaffen wir es nicht. Diejenigen, die das gemacht haben, sollen sehen, das geht nicht. Trägt eine Frau einen kurzen Rock, ist das keine Aufforderung, vergewaltigt zu werden.“
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„Bei uns am Meer liegen auch Frauen im Bikini“, sagt schließlich Naim Azofri (34), ein Marokkaner, der als Dozent für das Landesspracheninstitut in Bochum Arabisch unterrichtet. Er mag deshalb nicht ausschließen, dass „einzelne junge Araber unter den Tätern von Köln zu finden sind“. Am Frauenbild seiner Landsmänner oder an fehlender Akzeptanz für deutsche Normen und Werte, die mancher Politiker rasch für die Übergriffe verantwortlich machte, liege es seiner Ansicht nach aber nicht. „Sonst wäre im Revier ja am Wochenende in jeder Diskothek die Hölle los.“
Silvester-Übergriffe in KölnEr feierte Silvester in Düsseldorf – und würde es nie wieder tun. Denn was da los war, vor einer Woche am Rhein, das „war gar nicht schön“, erzählt Azofri. „Es waren solche Menschenmassen da, das irgendwie jeder jeden schob, völlig unkontrolliert. Alle wollten nur noch raus aus dem Gedränge.“ Seine Frau – ebenfalls Marokkanerin – habe sich sehr unwohl gefühlt, obwohl sie nicht angegrapscht worden sei – wie eine andere junge Frau, die sich lauthals gegen eine sexuelle Belästigung zur Wehr gesetzt habe. Als Azofri später von den Vorfällen in Köln hörte, dachte er überrascht: „Ach, da auch?“ Eine Erklärung für das Geschehen hat der Lehrer nicht: „Schlicht die Menge macht’s vielleicht ...“