Marl. . Auguste Victoria ist Geschichte nach 116 Jahren. An seinem letzten Tag wurde dieses Bergwerk, das den Revier-Norden prägte, noch einmal zur Bühne.

So war das nicht geplant mit Auguste Victoria: dass die beiden Seilscheiben eines Tages so still stehen würden. Dass die Uhr am Tor gerade 5 nach 12 zeigt. Dass Bergleute heute Abschiedsfotos machen würden, von der Zeche und voneinander. „Mensch, Thomas!“

Geplant war eigentlich: dass oben im Norden, in Marl und Haltern, Auguste Victoria dazu ansetzen sollte, noch mehr Münsterland zu Ruhrgebiet zu machen. Schnee von gestern, Planung aus dem ­letzten Jahrhundert. Es ist vorbei.

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„Nach 116 Jahren schließt . . . oder besser: wird Auguste Victoria geschlossen“, wird Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) am Nachmittag sagen und damit darauf anspielen, dass die Schließung politisch begründet ist. Aber so weit sind wir noch nicht, sind noch mittags auf dem Werksgelände, wo einzelne Männer ein bisschen ­verloren zwischen riesigen Hallen ­stehen. „Traurig, kann man nur ­sagen“, heißt es bei ihnen oder: „Ich bin jetzt Rentner, ich hab’ nichts mehr zu sagen.“

Erst mal Rückbau

Ein bisschen mehr lässt sich Adolf Clement aus Erkenschwick in die Seele schauen, ein Wettermann, also einer, der für die Belüftung unter Tage zuständig ist. „Ein mulmiges Gefühl“, sagt der 46-Jährige, „aber es ist ja nicht so, dass man keine Arbeit mehr hat.“ Montag geht es für ihn hier weiter, wie 450 Kollegen wird er noch ein Jahr im Rückbau arbeiten. Und dann noch gut ein Jahr auf Prosper- ­Haniel in Bottrop, der – letzten ­Zeche im Ruhrgebiet. „Da mach’ ich dann die Arbeit genauso gut wie hier.“ Im Januar 2018 ist dann für Clement endgültig Schluss. „So, wie ich im Moment fühle, fürchte ich, ich würde weiterarbeiten.“

Die Förderung auf Auguste ­Victoria war in den letzten Jahren auf Rekordkurs. So lehnte sie sich auf gegen das Ende, könnte man rum-interpretieren, aber die Wahrheit ist: Zechen werden gegen ­Ende immer besser, weil kein Mensch und keine Maschine mehr gebraucht werden für die Vorbe­reitung eines nächsten Abbaus.

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In Wahrheit endete die Förderung auch schon am Montag, doch da das Ereignis Bilder braucht, wird sie jetzt nochmal symbolisch beendet. Kurz nach 13 Uhr ist es, als vor den vielen Fotografen und Kameraleuten 14 schwarze Kumpel in der Schachthalle aus dem Förderkorb kommen; einer der Bergleute hat gar einen Brocken Kohle aus der Tiefe mitgebracht. Eine Art der Förderung, die, überschlägig betrachtet, seit ein paar Jahrhunderten aus der Mode ist, aber hier zur Tradition bei ­Schließungen erklärt wird. Doch egal: Für Minuten hört man nur noch Kameras klicken. Bergleute, Kohle, Lore, Bergleute, Lore, dann treten sie ab.

Manches Gesicht muss an sich halten

200 Meter weiter auf dem ­Zechengelände ist ein großes weißes Zelt aufgebaut, wo der Bergbau nun kraft seiner Tradition die Gäste rührt. Die Uniformen, die Federbüsche, der Anlass; der Ruhrkohle-Chor, das hymnische „Glückauf ihr Bergleut’ jung und alt / seid frisch und wohlgemut!“ „Man muss das Beste d’raus machen“, sagt einer halblaut zum anderen. Manches Gesicht muss an sich halten.

Die Männer des Ruhrkohle-Chor sangen noch einmal das Steigerlied.
Die Männer des Ruhrkohle-Chor sangen noch einmal das Steigerlied. © Lars Heidrich

Hannelore Kraft ist da, mehrere Minister und Abgeordnete, ­Gewerkschafts- und Vorstandsvorsitzende, einige hundert Gäste, ­sieben Redner. „Mit dem heutigen Tag endet nach 110 Jahren die Steinkohleförderung in Marl und im Kreis Recklinghausen“, sagt Werksleiter Jürgen Kroker mit ­belegter Stimme. Einer nach dem anderen werden sie jetzt den Bergleuten Mut zusprechen, „stolz“ sollten sie sein, das wird viel gesagt, „erhobenen Hauptes nach Hause gehen“ auch.

Neues Industriegebiet soll entstehen

In ein paar Jahren soll hier ein neues Industriegebiet stehen. Die „Neue Victoria“. Wie schwer ­dieser Wandel wird, daran erinnert Bürgermeister Werner Arndt (SPD) unabsichtlich, als er sich bei der Landesregierung bedankt: Sie hat einen Förderbescheid zugestellt – für eine Machbarkeits­studie.

Arndt war früher selbst ein Kumpel und führt heute die Stadt Marl, die Schlägel und Eisen im Wappen führt. „Niemand“, sagt er, „muss sich nachher schämen, spätestens beim Steigerlied die eine oder ­andere Träne zu verdrücken.“

Und so kommt es dann auch.