Essen. Auf ehemaligen Zechenstandorten im Ruhrgebiet entsteht neues Leben. Dafür sorgt die RAG Montan Immobilien in Essen – einer der letzten NRW-Großgrundbesitzer.

Wenn Hans-Peter Noll von seinem Schreibtisch aus dem Fenster schaut, blickt er auf eine der letzten Brachen des Weltkulturerbes Zollverein in Essen. Die Fläche wird nicht mehr lange unbebaut bleiben. Die RAG Montan Immobilien GmbH, deren Chef Noll ist, baut dort auf dem ehemaligen Kokereiareal den neuen Verwaltungssitz der RAG Stiftung und der RAG AG. Nur einige hundert Meter weiter entstehen die Folkwang Akademie der Künste und ein Hotel.

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So pulsierend wie auf Zollverein geht es nicht auf allen rund 100 ehemaligen RAG-Schachtanlagen zu, die mit dem Beginn des Zechensterbens in den 60er-Jahren Schritt für Schritt geschlossen worden sind. Es war und ist die Aufgabe der RAG-Tochter Montan Immobilien, für diese Areale neue Nutzungen zu finden. „Wir wollen keine verbrannte Erde hinterlassen“, beschreibt Geschäftsführer Noll seine Unternehmensphilosophie.

100 Millionen Quadratmeter sind zu entwickeln

Es ist eine gewaltige Aufgabe, die er und sein Team auch über das Ende des deutschen Steinkohlebergbaus hinaus, der 2018 komplett auslaufen soll, zu schultern hat. Mit noch rund 100 Millionen Quadratmetern ist die RAG Montan Immobilien der wohl letzte Großgrundbesitzer in NRW. „Die Fläche ist fast so groß wie das Stadtgebiet von Bochum“, sagt Noll.

Wenn auf Auguste Victoria in Marl am 18. Dezember die letzte Kohle gefördert wird, beginnt erst die richtige Arbeit für die Entwickler. Da die Ausstiegspläne längst feststanden, haben Stadt Marl und RAG schon seit zwei Jahren darüber gebrütet, was nach der Stilllegung aus dem Zechengelände einmal werden kann. Die unmittelbare Nähe zum Chemiepark Marl und der Hafenanschluss legen eine industrielle Nutzung nahe.

„Der Fantasie sind nahezu keine Grenzen gesetzt.“

Doch Gewerbeansiedlungen sind längst nicht das einzige Konzept, das auf ehemaligen Zechenstandorten verwirklicht wird. „Der Fantasie sind nahezu keine Grenzen gesetzt“, sagt Noll. So wurden auf den Zechen Humboldt in Mülheim und Hannibal in Bochum Einkaufszentren gebaut, Zeche Carl in Essen wurde Kulturzentrum, ein Standort von Unser Fritz in Herne ist Künstlerzeche. Carl Funke am Baldeneysee wurde einfach nur begrünt. Auf Mont-Cenis in Herne entstand die Ausbildungsakademie des NRW-Innenministeriums und ein komplettes Stadtquartier mit Eigenheimen, Wohnhäusern und einem Einzelhandelszentrum. Und in Duisburg-Walsum wich das Bergwerk einem gewaltigen Steinkohle-Kraftwerk der Steag.

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„Ein Bergwerk ist schnell stillgelegt“, räumt RAG-Immobilien-Chef Noll ein. „Der Weg zu einer Nutzung ist allerdings oft steinig. Es kann durchaus bis zu 15 Jahre dauern, bis auf solch einem Areal neues Leben entstanden ist.“ Denn die Schachtanlagen müssen unter Tage weitgehend leergeräumt und gesichert werden. Über Tage plagen die Entwickler oft tiefe Fundamente, Altlasten und Gebäude, die im Gegensatz zum schicken denkmalgeschützten Vorzeige-Bergwerk Zollverein nicht mehr genutzt werden können. Gemeinsam mit den Kommunen muss neues Planungsrecht geschaffen werden. Und am Ende muss die neue Entwicklung mit der vorgeschalteten und oft aufwändigen Sanierung auch wirtschaftlich darstellbar sein. „Wir werden nicht subventioniert. Unser Geschäftsmodell ist es, mit den Standorten Geld zu verdienen“, sagt Noll. Mit einem Augenzwinkern räumt er ein, dass er als Entwickler am meisten mit der Ansiedlung von Einzelhandel und Wohnbebauung verdienen könne. Doch das funktioniere natürlich nicht überall.

„An manchen Stellen brauchen wir einen langen Atem.“

Und so befinden sich in dem riesigen RAG-Reich auch ehemalige Bergbau-Standorte, die sich bei der Umnutzung als Sorgenkinder erweisen. „An manchen Stellen brauchen wir einen langen Atem“, sagt Noll. Auf Gneisenau in Dortmund etwa. Die Zeche wurde bereits Anfang der 90er-Jahre stillgelegt. Neuansiedlungen scheiterten immer wieder an einer fehlenden Erschließungsstraße, für die in öffentlichen Töpfen kein Geld vorhanden war. „Am Ende haben wir die Straße selbst vorfinanziert“, so Noll.

Auf Hugo in Gelsenkirchen, 1997 stillgelegt, ließen sich weder Gewerbe noch Wohnen wirtschaftlich verwirklichen. „Die Fläche lag einfach brach und kostet die RAG nur Geld“, erklärt der Immobilien-Chef. Bis man sich dazu entschlossen hatte, die 50 Hektar große Brache in einen Biomasse-Park mit Naherholungscharakter umzuwandeln. Auf 22 Hektar werden nun schnell wachsende Gehölze angebaut, die der Betreiber rodet und an Biomasse-Kraftwerke verkauft.

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„Man muss dicke Bretter bohren“, sagt Noll auch im Hinblick auf Emil Emscher im Essener Norden. „Die 40 Hektar sind die einzige große Reservefläche in Essen, die sich aufgrund ihrer Lage und Verkehrsanbindung ideal für die Ansiedlung von Industrie- und Logistikbetrieben anbieten würde.“ Doch auch hier scheiterte eine Entwicklung bislang an der fehlenden Erschließung. Die Schachtanlage wurde bereits 1973 stillgelegt. Auf dem Gelände lagerte die nationale Kohlereserve. Hier plant das Unternehmen ein Provisorium – bis zum Ausbau der A 52.

Negativer Arbeitsplatz-Effekt

Den Spaß an der Arbeit hat „Großgrundbesitzer“ Noll aber längst nicht verloren. Begeistert ist er etwa von der Aufbruchstimmung, die in Kamp-Lintfort zu spüren sei, nachdem die Stadt am Niederrhein den Zuschlag für die Landesgartenschau 2020 erhalten hat. Die RAG Montan Immobilien hat die Bewerbung unterstützt und mit der Stadt mit dem Slogan „Kloster – Kohle – Campus“ gepunktet. An die Stelle des Bergwerks West ist die Fachhochschule Rhein-Waal getreten, die der strukturschwachen Stadt Kamp-Lintfort Impulse gibt.

Auch wenn der Strukturwandel vielerorts gut gelungen ist, warnt Noll vor überzogenen Erwartungen an den Arbeitsplatz-Effekt der neu genutzten Zechen. „Es gibt keinen Standort, an dem heute mehr Menschen arbeiten als zu Bergbau-Zeiten“, räumt der Immobilien-Chef ein. So arbeiteten auf Ewald in Herten in Glanzzeiten 5500 Kumpel. Noll: „Heute gibt es dort rund 1400 Arbeitsplätze. 1500 wären der absolute Knaller.“ Im Markt sieht der Experte aber große Bewegung. Die industriellen Zyklen veränderten sich rasant und würden immer kürzer: „Der Bergbau war 100 Jahre an einem Standort, Opel in Bochum 40 Jahre auf der ehemaligen Zeche Dannenbaum. Und die neue Nutzung hält vielleicht 20 Jahre, bis wieder etwas Neues kommt.“

Der Ruhrpott in Bildern

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