Gelsenkirchen. . Im Norden des Reviers hat Graf Westerholt in seinem Wald eine letzte Ruhestätte geschaffen. Wer mag, kann sich Eiche oder Buche, unter der er beerdigt werden will, aussuchen.
Unter 490 Wipfeln ist Ruh’. In der Baut, der grünen Lunge zwischen Herten und Gelsenkirchen-Buer, hat Carlo Graf Westerholt die Ruhestätte Natur eröffnet, eine Art Friedhof unter Bäumen. In dem Gebiet, wo sein Vorgänger Egon Graf Westerholt zwischen 1968 und 1988 insgesamt 42 Löwen herumlaufen ließ.
Wie Graf Egon um die Erlaubnis für seinen Safaripark im Pott einst kämpfen musste, hat auch Carlo einige bürokratische Hürden bewältigen müssen. „Sieben Jahre dauerte die Planungs- und Genehmigungsphase“, sagt der Graf. „Dieser wunderbare Wald, der mehr als 800 Jahre im Besitz der Familie ist, muss erhalten werden. Er ist ein Lebensraum für Mensch und Tier, ein einzigartiger Ort für die letzte Ruhestätte.“ Den der Graf selber allerdings nicht nutzen will. „Da bin ich Traditionalist. Mein Grab ist in der Gruftkapelle der Familie.“
Dennoch: Bereits vor der Eröffnung wurden drei Urnen beigesetzt. Die Nachfrage ist groß. Zur Einweihung pilgerten etwa 350 Menschen in den Wald. Rollatoren kämpften mit den Unebenheiten der kleinen Wege, Hunde bellten, die Sonne bahnte sich ihren Weg durch die alten Baumkronen, tauchte die bunten, herbstlichen Blätter in ein romantisches Licht. „Ich habe bereits als Kröte hier rumgetobt“, erzählt Bruno Weinert. Der Westerholter denkt nun darüber nach, an diesem einzigartigen Ort seine letzte Ruhestätte zu buchen.
Einen Platz für die Urne gibt es schon ab 550 Euro
In der ersten Parzelle von 5,5 der insgesamt 33 Hektar, die dem Friedwald gewidmet sind, hat Förster Ole Busch 490 Bäume ausgewählt, unter denen Urnen beigesetzt werden können. „Schon zu Lebzeiten kann man sich seinen Baum aussuchen“, sagt Carlo Graf Westerholt. Ab 550 bis zu 9900 Euro – vom Einzelplatz, den der Förster bestimmt, bis zum Familienbaum, um den herum zwölf Urnen Platz finden können – kosten die Ruhestätten. Hinzu kommen später Beisetzungskosten.
„Eine tolle Idee“, schwärmen Bärbel und Hartwig Müller. Das Ehepaar wohnt direkt am Waldrand. Anders als auf einem Friedhof sei hier keine aufwändige Grabpflege nötig. „Die Gäste könnten in unserem Garten die Musik laut aufdrehen, wenn sie uns beisetzen“, scherzt Hartwig Müller.
Neu ist die Idee nicht. Mit dem Friedwald Reinhardswald bei Kassel wurde im Jahr 2001 der erste Bestattungswald in der Bundesrepublik eröffnet. Zwischen Rügen im Norden und Heiligenberg am Bodensee finden sich inzwischen mehr als 50 Standorte. „Im zentralen Ruhrgebiet gibt es keine Alternative“, sagt aber der Graf. Die nächsten Bestattungswälder gebe es in Coesfeld, Cappenberg und Hagen.
„1,5 Prozent der Urnen werden deutschlandweit heute an den Wurzeln alter Bäume in biologisch abbaubaren Urnen beigesetzt“, sagt Corinna Brod, Sprecherin der Friedwald GmbH, dem größten deutschen Anbieter dieser Bestattungsform. Die Nachfrage wachse. „Es ist eine Alternative, die gewünscht wird.“
Als Grund dafür nannten zwei Drittel der Bundesbürger in einer Umfrage aus dem Jahr 2013 den geringeren Pflegeaufwand. Bei konventionellen Urnen- oder Erdgräbern auf Friedhöfen entstehen für Angehörige zudem wesentlich höhere Kosten. Eine Erhebung von Stiftung Warentest im Jahre 2012 ergab für einen Dauerpflegevertrag für 20 Jahre Durchschnittskosten von 4900 Euro für ein Urnengrab und 10 300 Euro für ein Erdwahlgrab. Bei Waldgrabstätten fallen hingegen ausschließlich einmalige Kosten über die Laufzeit von in Westerholt zum Beispiel 100 Jahren an.
Laubbäume bietenRaum für Erinnerungen
„Es ist ein Ort, an dem keine Traueratmosphäre herrscht“, sagt Förster Ole Busch. Gibt aber zu bedenken: Blumenschale, Kranz und Kerze gehören nicht in den Wald. (Wohl aber ist ein Namensschild am Baum erlaubt.) Bei Sturm wird es zudem schwierig, das Grab eines lieben Verstorbenen im Wald zu besuchen. An anderen Tagen bieten die alten Eichen, Buchen und Birken allerdings jede Menge Raum, um in Erinnerungen zu schwelgen und den Gedanken nachzuhängen. Vielleicht auch jenem angelehnt an den alten Film: dass sich „jenseits von Westerholt“ ein alter Löwe in der Morgendämmerung auf ein Grab legt.