Ruhrgebiet. . Seit März wurden 35 Geldautomaten gesprengt. Die Täter reisen offenbar aus den Niederlanden an. Nur Prävention kann helfen.

Sie kommen in den frühen Stunden des Morgens. Gerne in Städte an den Niederrhein, immer wieder aber auch ins Ruhrgebiet. Mit einer schweren Limousine, manchmal ist auch ein Motorrad dabei. Nicht selten sind beide gestohlen. Sie halten vor Banken oder Sparkassen, zerren große Flaschen mit Gas in den Vorraum. Über Schläuche wird das in die dort verankerten Geldautomaten geleitet und dann zur Explosion gebracht. Klingt kompliziert, dauert aber nur zwei bis drei Minuten. Und bevor sich der Rauch verzogen hat, sind sie auch schon wieder weg. Zurück bleiben ein Trümmerfeld und ein ausgeräumter Tresor. 35-mal ist das in NRW seit März passiert. Jetzt ermittelt das Landeskriminalamt (LKA).

„Das Phänomen ist nicht neu“, sagt Dietmar Kneib, Leiter der „Ermittlungsgruppe Heat“, die Jagd auf die Tresorknacker macht. „Aber so hoch wie in diesem Jahr war die Zahl der Taten noch nie.“ Und Kneib ahnt auch warum: Ein klassischer Banküberfall, sagt er, lohne sich nicht mehr. „Die Beute bei einem gesprengten Automaten ist meist viel höher.“ Zahlen nennt der Ermittler nicht, Branchenkenner sprechen von 50 000 bis 100 000 Euro pro Automat. Zur hohen Beute kommt eine niedrigere Straferwartung als beim Überfall während der Schalterstunden. Auch wenn der angerichtete Schaden meist größer ist. Nicht selten müssen nämlich ganze Fassaden erneuert werden, manchmal drohen Gebäude nach der Explosion einzustürzen. „Der Schaden geht in die Millionen“, so der Fahnder, „ein Glück, dass noch kein Mensch zu Schaden gekommen ist.“

Panzerknacker mit Bleifuß

Möglicherweise war es auch die Panzerknackerbande, die sich im September mit der Polizei eine heftige Verfolgungsjagd über mehrere Autobahnen geliefert hatte.

Zeitweise waren die Besatzungen von 24 Streifenwagen und ein Hubschrauber hinter den Flüchtenden her. Aufhalten konnten sie sie allerdings am Ende nicht.

Über die Täter, die seit März das Land heimsuchen, weiß die Polizei nicht viel. „Sicher ist, dass es sich nicht um eine, sondern um mehrere Banden handelt“, sagt Kneib. In Verdacht stehen „Niederländer mit Migrations-Hintergrund“. Schnell über die Grenze, schnell wieder zurück. „Deshalb werden nur Standorte gewählt, von denen man zügig wieder auf einer Autobahn ist“, erklärt der Dezernatsleiter. Ob die Banden Kontakt untereinander haben, ob sie im Auftrag oder auf eigene Rechnung handeln, kann die Polizei noch nicht sagen. Gemeinsam mit holländischen Kollegen wollen die LKA-Fahnder es herausfinden. „Die Zusammenarbeit läuft sehr gut. Wir kriegen die Täter.“

Die Sprengung selbst: „Keine anspruchsvolle Aufgabe“

Doch selbst wenn es zu Festnahmen kommen sollte, ist das Problem nach Einschätzung des Ermittlers nicht vom Tisch. Denn wer sitzt, kann ersetzt werden. Einen Bankautomaten in die Luft zu jagen, sei „nicht besonders anspruchsvoll“. Dafür müsse kein Spezialist eingeflogen werden.

„Letztendlich hilft nur Prävention“, glaubt der Ermittler. Deshalb nimmt das Landeskriminalamt derzeit auch Kontakt zu Banken und Sparkassen auf. Vorräume zu ihren Filialen sollen sie nachts verschließen, am besten Farbpatronen in die Automaten einbauen, die die Scheine bei Gewalteinwirkung vollspritzen und damit unbrauchbar machen. „Das Geld darf für die Täter nicht verwertbar sein.“

Geldinstitute erwägen Aufrüstung

Technisch ist das kein Problem. Die aktuelle Generation von Tresoren ist ohnehin gegen Angriffe von innen gerüstet und kann mit eingeleitetem Gas nicht mehr gesprengt werden. Ältere Modelle könnten auf die Farbpatronen zurückgreifen. „Nach unserer Einschätzung können nahezu alle Geräte nachgerüstet werden“, sagt Ulrich Nolte, Sprecher von Wincor/Nixdorf, dem größten Anbieter von Geldautomaten in Deutschland.

Viele Banken und Sparkassen halten sich nach Erkenntnissen dieser Zeitung allerdings bei der Aufrüstung ihrer Automaten zurück. Denn das kostet, je nach Modell, angeblich vierstellig. Offizielle Aussagen dazu gibt es von den Geldinstituten nicht, hinter vorgehaltener Hand ist von einer Kosten-Nutzen-Analyse die Rede. „Wir überlegen, ob sich das lohnt“, sagt ein Sprecher, hält das aber bei grenznahen Automaten für „sehr wahrscheinlich“.

In anderen Ländern verhindert die „Tintentechnologie“ die Taten

In anderen Ländern gibt es gar nichts mehr zu überlegen. In Schweden, Belgien und Frankreich ist der Einsatz der Tinten-Technologie bereits per Gesetz verpflichtend. Mit Erfolg: „Die Zahl der Tresorsprengungen“, weiß LKA-Fahnder Kneib, „geht dort gegen Null.“