Ruhrgebiet.. Angehende Raumplaner untersuchten „Selfies“ aus dem Revier: Kohle und Stahl prägen immer noch das Bild. Aber der Fokus liegt auf Freizeit und Natur.
Ich vor Zeche Zollverein. Ich vorm Tetraeder. Ich im Westfalenstadion, auf dem Förderturm, am Kanal. Aber immer ohne Arm, der hält beim „Selfie“ die Kamera und ist deshalb nicht mit drauf. So fotografieren junge Menschen ihr Ruhrgebiet, und: meist mit der Hintergrundfarbe Grün.
Raumplaner der Technischen Universität Dortmund haben ihre Fotos untersucht und stellten fest: Freizeit statt Arbeit prägt das Selbstbild des Reviers. Kohle und Stahl gehören immer noch dazu, bei jüngeren Leuten aber im Aggregatzustand der Industriekultur.
Selbstporträts als „moderne Form der Selbstdarstellung“
1761 „Selfies“, Selbstporträts also, werteten die zehn Studenten aus, fast eine Premiere im Wissenschaftsbetrieb: Diese „moderne Form der Selbstdarstellung“ hatten Forscher bislang nicht im Fokus. Für repräsentative Ergebnisse haben die Schnappschüsse trotzdem nicht gereicht; statistisch zu jung sind die „Fotografen“, und ältere Semester, die sich selbst knipsen, laden die Fotos nicht gleich im Netz hoch. Weshalb die Studierenden unter anderem auch eine klassische Straßenumfrage drauflegten, in neun Städten unter 1318 Befragten. Tenor: Wie sehen Sie das Ruhrgebiet?
Auch interessant
Die Erkenntnis ist eine, die das Ruhrgebiet sonst eher von Außenstehenden hört: Das Revier ist grün, der Freizeitwert hoch. Sagte jeweils ein Drittel. Und so sehen auch die Fotos aus, überraschend für die Studenten: Unter Stichworten wie „#ruhrgebiet“, „#ruhrlove“ oder „#ruhrpott“ entdeckten sie im Internet vor allem Bilder, die den Menschen in seiner Freizeitumgebung zeigen. „Häufiger als bei der Arbeit – was man beim Ruhrgebiet vermuten könnte“, so ein angehender Raumplaner. (Genauso oft aber fanden sich Fotos aus dem Auto oder dem eigenen Wohnraum.)
Ein Drittel denkt beim Ruhrgebiet an Kohle und Stahl
Anders bei eigens eingesandten Ruhrgebiets-Selfies. Auch darum hatten die Studierenden gebeten – und bekamen: ebenso grüne Fotos (34,8 Prozent), viele voller Industriekultur. Woraus sie schließen: „Wenn sich die Menschen bewusst mit der Frage auseinandersetzen, was für sie das Ruhrgebiet ist, stellen sie oft noch einen industriellen Bezug her – auch die Jüngeren.“ Oder anders: „Auch junge Menschen haben ein Bild, das in der montanindustriellen Vergangenheit verhaftet ist.“
Als Wohn- und Arbeitsort, heißt es zur Umfrage im Forschungsbericht, werde „das Ruhrgebiet positiv bewertet“. Bewohner der Region seien „über alle Altersgruppen hinweg stark in ihrer Region verwurzelt“. 56 Prozent fühlen sich stark oder sehr stark mit ihr verbunden, ein weiteres Drittel empfindet eine durchschnittliche Verbundenheit. Dabei ist dieses Heimatgefühl bei älteren Menschen stärker, nimmt ab einem Lebensalter von 35 Jahren stetig zu. Die geringsten Werte weisen dabei die Städte am Rande des Reviers, Duisburg und Dortmund, allerdings auch Herne auf.
Gefragt wurden die Bürger auch nach spontanen Assoziationen zum Ruhrgebiet. Am häufigsten wurden „gängige Stereotypen“ genannt: „Fußball“, „Kohle“, „Industrie“, „Zeche“, „Bier“, „Bergbau“, „BVB“, „Stahl“ („#Schalke“ kommt dafür bei den Selfies vor). Interessant: Rund ein Drittel der Befragten denkt beim Ruhrgebiet an Kohle und Stahl. Dafür kennen nur 43 Prozent die „Route der Industriekultur“ – und die ist damit unter den Imageträgern des Reviers noch der bekannteste.
„Positives Bild vom Leben“
Dabei stellen die Studenten auch fest: „Das Ruhrgebiet erscheint in Selfies als kulturell vielfältiger Raum.“ Außerdem „als geselliger und sozialer Raum mit einer hohen Verbundenheit zwischen den Menschen“ (und ihren Autos, da spricht die Verwunderung sogar aus dem sonst so wissenschaftlichen Text). Die Fotos aus der Region, notieren die Forscher, „vermitteln ein positives Bild vom Leben“.
Ob das Revier dabei eine einzige, verwachsene Stadt ist (46 Prozent) oder eine Ansammlung unabhängiger Orte (54 Prozent), wissen seine Bürger indes auch nicht recht. Aber: Das Wort von der „Metropole Ruhr“ mögen die Menschen, die in ihr leben. Benutzen jedoch mögen sie es nicht.
Für ihre Arbeit „Das Selbst(i) und das Ruhrgebiet“ werteten Studierende der Fakultät Raumplanung an der TU Dortmund zwischen März und Mai insgesamt 1762 „Selfies“ aus.
Außerdem befragten sie repräsentativ 1318 Menschen in neun Revierstädten: Bochum, Bottrop, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Herne, Mülheim und Oberhausen.