Ruhrgebiet. .

An jeder Bude gibt es Bier, und trotzdem ist sie keine Kneipe. Vielmehr war, historisch betrachtet, die Erfindung der Trinkhalle die direkte Folge einer Schnapsidee.

Die einfache Geschichte geht so: Als die Industrialisierung über Deutschland kam und über das Ruhrgebiet zumal, da wuschen Bergleute und Stahlarbeiter sich nach der Arbeit an der Bude den Staub von der Zunge und ertränkten ihre Müdigkeit im Gerstensaft.

Die wahre Geschichte geht anders: Sie erzählt von Fabrik-Direktoren, die es für klug hielten, ihre Leute mit Branntwein zu motivieren und ihn ausgaben als Teil des Lohns – die berühmte „Schnapsidee“. Aber so war es Sitte in der Mitte des 19. Jahrhunderts, der Alkohol tötete den Hunger und schönte das Elend, nur vertrug er sich nicht mit der Technik. Besoffen bedienen sich Maschinen schlecht. Weshalb die Fabrikanten ihn alsbald verboten und ihren Mannen Mäßigung verordneten.

So entstand die Trinkhalle, die im Ruhrgebiet also mindestens 150 Jahre alt ist. „Seltersbude“ hieß sie zunächst, weil Mineralwasser-Hersteller hier ihre Ware an den schuftenden Mann brachten, aus Fässern zunächst, dass er sich gesünder ernähre. Man nannte die wasserführenden Häuschen „Kurort des kleinen Mannes“, zur Klümpkesbude der Kumpel wurden sie später.

Vor den Fabriktoren wuchsen sie, in Werkssiedlungen, an Bus- und Straßenbahn-Haltestellen, belebten Kreuzungen, überall dort, wo die Menschen waren. Und sie wuchsen nicht einfach so: Die Stadtväter stellten Grundstücke zur Verfügung, dafür wünschten sie, dass die Trinkhalle hübsch aussah. So erhoffte sich Dortmund 1889, dass „Buden in gefälliger Form und Ausstattung zugleich eine Verschönerung der Plätze und eine Annehmlichkeit für die Bevölkerung“ bieten sollten.

„Kiosk“ kommt aus dem Türkischen

Viele wurden gebaut nach den Vorbildern von Pavillons und Gartenhäusern, sechs- oder achteckig, aufwändig verziert. Diese orientalische Sorte erklärt den Zweitnamen „Kiosk“, auch wenn den im Revier eigentlich keiner benutzt: Das Wort stammt aus dem Türkischen. Das passt in die Region, hat aber mit den Gastarbeitern 80, 90 Jahre später gar nichts zu tun. Zur Jahrhundertwende sollen an Rhein und Ruhr bereits 600 Trinkhallen gestanden haben.

Nicht alle so adrett wie die, die heute gar in Museen stehen oder unter Denkmalschutz. Viele entstanden später als Verschläge, angebaut an Bunker, eingequetscht in Wohnhäuser. „Die Lukensituation ist ganz klassisch“, hat Kurt Wettengl einmal geurteilt, der es wissen muss: Der kürzlich ausgeschiedene Leiter des Dortmunder Museums am Ostwall hat 2006 den 1. KCMO gegründet, einen Verein, der sich der Forschung und Pflege der Kiosk-Kultur verschrieben hat. Eine „designfreie Zone“ seien die Buden heute, „alles ganz praktisch und funktional“.

Das wiederum auch bedingt durch die Nachkriegszeit. Als Kumpel noch zweimal monatlich die Lohntüte bekamen, und dazwischen wurde angeschrieben. Als nach 1945 die Bude oft Existenzsicherung war, für versehrte Kriegsheimkehrer, für Bergmanns-Witwen. Eine Schank­erlaubnis brauchten sie damals noch nicht. Das ist zwar heute anders, das Trinken an der Bude sogar verboten. Trotzdem gehören zu den meistgekauften Waren: Bier und Schnaps.