Duisburg/Ruhrgebiet.. Das „Team Wallraff“ hat mit seiner Reportage um Missstände in Großküchen eine wichtige Debatte angestoßen: Warum muss es immer billig sein?
Das ist also eine der Wallraffschen „Skandalküchen“ – die Mensa des Duisburger Berufskollegs Neudorf: Der Salat sieht knackig aus, der Edelstahl blitzt blank und zumindest ein Teil ist offen einsichtig für die Schüler. Aber man kann einer Küche ja nur vor den Topf gucken. Eine RTL-Journalistin, die sich hier zwei Tage einschleuste, berichtete in der Sendung „Team Wallraff“ am Montag, wie die Köche aus Wasser, Tomaten- und Chilipulver sowie Dosengemüse und Soja-Hack „Chili sin Carne“ anrührten, ohne das Essen zu erhitzen. Das wurde erst kurz vor der Ausgabe getan.
Auch interessant
Diese Szene rührte RTL seinerseits zusammen mit Funden aus anderen Großküchen: verdorbenes Hack, schimmelige Gurken und fast abgelaufene Waren. Insbesondere das Wuppertaler Unternehmen Vitesca steht nun mit dem Rücken zum Herd: Zwölf Duisburger Ganztagsschulen haben ihm gekündigt, die Lieferung gestoppt bis zur nächsten Prüfung haben sieben Schulen aus Iserlohn und die Städte Ennepetal und Lünen...
„Ich arbeite hier mit Herz und Liebe“
Nun könnte man sich über die Details streiten, denn die betreffenden „Caterer“ werfen „Team Wallraff“ Verdrehungen vor: So sei es üblich, Waren einzufrieren, dann verlängere sich das Mindesthaltbarkeitsdatum. Und der Neudorfer Küchenbetreiber „Diversa“, eine Tochter des Wohlfahrtsverbands SCI Moers, erklärt, man verwende einen „Mix“ aus frischer Ware und Fertigprodukten. „Der größte Teil des Essens wird bei uns gekocht.“ Mensabetriebsleiter Oliver Völker fühlt sich von RTL falsch dargestellt, als möge der gelernte Koch seinen Beruf nicht. Beim kurzen Smalltalk vor Feierabend habe ihm die RTL-Reporterin vor versteckter Kamera Aussagen entlockt und für den Beitrag aus dem Zusammenhang gerissen. „Ich arbeite hier mit Herz und Liebe“, sagt er.
Aber dieses Kleinklein würde ablenken vom dahinter liegenden Problem, das Wallraff angesprochen hat: Der Kostendruck ist so enorm, dass Fehler und Missstände zum System zu gehören scheinen. Und dass das Schul- und Kita- und Seniorenessen zu einem Einheitsbrei verkommt.
Die Kausalkette erklärte Bochums Stadtdirektor Michael Townsend treffend, als im Herbst ein Aufschrei durch die Stadt ging, weil das Studentenwerk Akafö (das auch viele andere Einrichtungen beliefert) seine Preise für ein Schulessen um 70 Cent auf 3,90 Euro erhöhte: „Mit dem Bau von Schulmensen werden wir den Veränderungen bei den Schulzeiten gerecht. Deshalb, und weil das Volumen entsprechend ist, werden wir wohl dazu kommen, die Betreibung der Mensen entsprechend europaweit auszuschreiben.“ Was bedeutet: Der günstigste Preis möge gewinnen. Nicht das beste Preis-Leistungs-Verhältnis.
"Die Masse ist auf billig eingestellt“
Simone Schienagel und Karin Delsing betreiben in Essen mit „Grünschnabel“ seit zehn Jahren die wohl erste Bio-Catering-Firma im Ruhrgebiet. Sie beliefern zwölf Kitas und zwei Schulen, überwiegend solche, die von Elterninitiativen getragen werden. Dass die Branche so klein ist – es gibt hier noch Vitamin-Reich in Velbert und Rebional in Herdecke – liegt nach Schienagels Einschätzung eben am „enormen Kostendruck. Die Masse ist auf billig eingestellt“.
Linsensuppe mit Tofu-Würstchen und Brötchen, dazu hausgemachter Joghurt mit Honig, so etwas kostet für ein Grundschulkind bei Grünschnabel 3,15 Euro (Fleisch plus 0,95 Euro) – mit hundert Prozent Bio-Zutaten. Die Preise bei konventionellen Caterern beginnen etwa bei 2,70 Euro. Die Gewinnmarge aber ist durch den teuren Bio-Einkauf für Grünschnabel erheblich geringer. Die ersten Jahre grenzten wohl an Selbstausbeutung. Erst vor zwei Jahren trauten sich Schienagel und Delsing eine Preiserhöhung um 20 Cent. Kein Kunde ist abgesprungen. Seit Montag aber rufen sogar erstaunlich viele neue Interessenten an.
Auch Akafö begründete seine Preiserhöhung in Bochum mit seinem Qualitätsanspruch – und bekam viel Schelte. Und ein Menü im Berufskolleg Neudorf kostet immerhin vier Euro. Ist das nun viel oder wenig für Nudeln mit Spargel und Sesam-Orangensauce? Die Schülerin Ruby Kobschke (18) sagt: „Der Salat war immer frisch und hat immer geschmeckt.“ Aber sie kommt auch wegen der Mitarbeiter, drei der sieben haben eine Behinderung. „Sie sind immer sehr nett, haben uns sogar mal ein Wassereis geschenkt und nehmen uns gerne mal auf den Arm.“