Es gibt sie noch im Ruhrgebiet, die Schwerindustrie. Doch Dienstleistungen und Logistik haben sie längst abgehängt. Überraschende Einsichten.

Trotz großer Anstrengungen hat sich das Ruhrgebiet vom Wegbrechen zehntausender Arbeitsplätze in der Montanindustrie noch nicht vollständig erholt. Doch die Anzeichen verdichten sich, dass der Wirtschaftsregion die eingeleitete Aufholjagd gelingen könnte. „Der Strukturwandel wirkt“, sagte unlängst Claudia Hillenherms, Vorständin der landeseigenen NRW-Bank.

Schlusslicht, rote Laterne, abgehängt – es gab viele Attribute, die über Jahrzehnte zum Teil mitleidig die wirtschaftliche Misere des Ruhrgebiets beschrieben. Es war vor allem die hohe Arbeitslosigkeit, die stillgelegte Bergwerke, Hochöfen und Kokereien hinterließen. Neue Unternehmen, die an Ruhr und Emscher kamen, konnten lange Zeit den zehntausendfachen Verlust der Stellen nicht ausgleichen. Doch inzwischen hat sich der Wind gedreht. Im Revier zeigen sich wirtschaftliche Trends, die Mut machen.

Zahlen geben Grund zu Optimismus

„Die neue Vielfalt in der Wirtschaft macht die Region mit vielen tragenden Säulen robust bei großen Marktveränderungen“, sagt Julia Frohne, Geschäftsführerin der Business Metropole Ruhr (BMR). „Die Erfahrung aus dem Strukturwandel hilft uns heute auch, mit den großen Herausforderungen Klimawandel und demografischem Wandel umzugehen.“

Einige Kennwerte sprechen dafür, dass sich hinter diesem Optimismus nicht nur Gesundbeterei verbirgt: Seit einigen Jahren liegt die Erwerbslosenquote im Ruhrgebiet stabil unter zehn Prozent. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist seit 2011 um 16,1 Prozent gewachsen – das entspricht mehr als 250.000 zusätzlichen Beschäftigungsverhältnissen. Im vorvergangenen Jahr waren 1.809.054 Menschen im Revier sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Der bisherige Tiefstand wurde 2006 erreicht, als es nur noch 1,46 Millionen Arbeitsplätze gab.

„Man merkt im Ruhrgebiet deutlich die Transformation vom produzierenden Gewerbe hin zum Dienstleistungszentrum in NRW“, sagt NRW-Bankerin Hillenherms und beschreibt damit den tiefgreifenden Wandel: Der einstige Schmelztiegel der Schwerindustrie ist zur nationalen Beschäftigungshochburg insbesondere für die Gesundheits-, Recycling- und Logistik-Wirtschaft, aber auch im Bereich Erziehung geworden. In den früheren Montanstädten Dortmund und Bochum macht das Verarbeitende Gewerbe nur noch etwas mehr als neun Prozent der Bruttowertschöpfung aus. In der ehemaligen Kruppstadt Essen sind es gerade einmal 5,8 Prozent. NRW-weit kommen nur Bonn und Münster auf noch niedrigere Zahlen.

„Wir haben uns längst von einer reinen Arbeits- zu einer Wissensregion gewandelt“, meint Wirtschaftsförderin Frohne. Der Anteil an Beschäftigten mit anerkanntem Berufsabschluss sei in den vergangenen zehn Jahren um 25 Prozent gestiegen, derjenigen mit akademischem Abschluss sogar um 82 Prozent.

Ein positiver Trend

Zum Wandel gehört aber auch, dass der Gründergeist im Ruhrgebiet neu entfacht ist und an die Traditionen namhafter Pioniere wie August Thyssen, Friedrich Krupp Hugo Stinnes oder Herbert Grillo anknüpft. Nach Berechnungen der Landesregierung tummelten sich im Ruhrgebiet zuletzt 344 Start-ups. Im Vergleich zu 426 in Köln und 368 in Düsseldorf hat die Region innerhalb Nordrhein-Westfalens längst nicht die Nase vorn. Bei der NRW-Bank, die Gründer mit Krediten unterstützt, sieht man aber gleichwohl einen „positiven Trend“. In Essen und Mülheim macht das Geldinstitut ein besonders gutes Gründerklima aus. Die Zeit, als sich Hochschulabsolventen gleich bequem und automatisch in die ausgestreckten Hände der zahlreichen ortsansässigen Großkonzerne warfen, scheint vorbei.

Wie sich ohnehin das schlechte Image von rauchenden Schloten, fliegenden Briketts und Ruß allmählich verflüchtigt. Das Ruhrgebiet zieht zudem internationale Unternehmen an. Mehr als 31.000 ausländische Firmen, Gewerbetreibende und Investoren aus 154 Ländern haben im „Pott“ eine zweite Heimat gefunden. Das sind 23 Prozent mehr als 2016, als die Industrie- und Handelskammern die Zahlen zuletzt erhoben hatten. Mit einer Wirtschaftskraft von 172 Milliarden ist das Revier die viertgrößte Metropolregion Europas. „Mit ihren vielen jungen Menschen, einer beeindruckenden Dichte an Hochschulen und Unternehmen hat unsere Region großes Potenzial, eine der führenden Metropolen Europas zu werden“, verbreitet Rolf Buch, Moderator des Initiativkreises Ruhr, in dem sich 70 Unternehmen und Institutionen zusammengeschlossen haben, Zuversicht.

Ihre Trümpfe will die Region stärker ausspielen – mit regionalen Projekten wie der „Urbanen Zukunft Ruhr“ im Duisburger Problemstadtteil Hochfeld, die nach Lesart von Initiativkreis-Co-Moderator Andreas Maurer „eine Blaupause für die Zukunft des Ruhrgebietes“ werden soll. Aber auch mit Ereignissen mit globaler Strahlkraft: die Biennale Manifesta 2026, die Internationale Gartenschau 2027 mit fünf Zukunftsgärten in Gelsenkirchen, Duisburg, Dortmund, Castrop-Rauxel/Recklinghausen und Bergkamen/Lünen, und bei der möglichen Neuauflage der Internationalen Bauausstellung Emscherpark, die den Weg ebnen soll für einen ganz großen Traum: die Olympischen Sommerspiele 2036 oder 2040 an Rhein, Ruhr und Emscher zu holen.

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