Ein Mann legt sich ins Krankenhaus, während ein Killer seine Ehefrau erwürgt. Ein klassischer Fall für unseren Podcast „Der Gerichtsreporter“.
„Tote beleben die Zeitung.“ Dieser Satz mag zynisch klingen. Aber er prägte sich mir früh ein, nachdem ich 1977 als 18-Jähriger in der Essener Lokalredaktion als freier Mitarbeiter angefangen hatte. Wenn wahre Verbrechen schon damals wichtig waren, ist „True Crime“ also kein neuer Trend, sondern im Grunde eine alte Geschichte.
Diesem Genre habe ich mein journalistisches Leben gewidmet. Und es seit drei Jahren in einem Podcast verarbeitet. Er heißt „Der Gerichtsreporter“ und spiegelt am Ende des Berufslebens meine Arbeit für die WAZ wider.
Eine Tote stand schon am Beginn meiner Arbeit. Nur 18 Jahre alt ist die Essenerin geworden. Sie hatte zu ihrem Abitur einen Hubschrauberflug geschenkt bekommen. Doch die Maschine zerschellte, und die junge Frau starb. Der damalige WAZ-Lokalchef Theo C. Weber schickte mich los, bei den Großeltern Fotos von ihr zu besorgen.
Ich fuhr hin, traf sie auch an. Doch sie wussten nichts vom Tod ihrer Enkelin. Ich war der Überbringer. Natürlich habe ich mich zu ihnen gesetzt, zugehört und getröstet. Zum Schluss bekam ich sogar mein Foto, ohne noch einmal gefragt zu haben.
80 Folgen und hunderttausende Hörer
Das Ganze hatte mich sehr berührt. Aber irgendwie habe ich es verarbeitet. Das gelang mir auch später. Seit 45 Jahren arbeite ich jetzt für diese Zeitung, 32 davon schreibe ich als Gerichtsreporter der WAZ über Strafprozesse und ihre menschlichen Abgründe. Und noch immer nehme ich die Verbrechen nicht mit in meinen Schlaf.
Warum das so ist, weiß ich nicht. Gefühllos bin ich jedenfalls nicht. Ich wäre ein schlechter Journalist, wären mir Gefühle fremd.
So erschien ich wohl robust genug, als die Chefredaktion mich 2019 bat, einen „True Crime“-Podcast als neues Format zu entwickeln. Podcast? Kannte ich nicht. Heute weiß ich, das ist jederzeit zu hörendes Radio.
Seitdem sind mehr als 80 Folgen entstanden. Hunderttausende hören uns. Das ist nicht nur mein Verdienst. Zu jedem Podcast gehört ein Host – auch so ein Wort, das ich erst einmal lernen musste. Übersetzt heißt es Gastgeber. So ein Podcast ist also ein Gespräch, an dem Hörer teilnehmen können.
Mein erster Host war die Online-Redakteurin Brinja Bormann, unsere Zusammenarbeit funktionierte auf Anhieb. Diese Team-Atmosphäre ist dem Podcast anzuhören. Nach drei Jahren ist sie ausgestiegen, weil sie etwas Fröhlicheres machen will. Mit Gesa Born, ebenfalls Online-Redakteurin der FUNKE Mediengruppe, ist ein reibungsloser Übergang gewährleistet. Auch diese Kollegin und ich kommen gut miteinander aus. Mein Job bleibt der alte. Ich suche Themen, recherchiere intensiv und arbeite ein umfangreiches Skript aus. Endlich kann ich mich einmal intensiv um einzelne Fälle kümmern. Intensiver jedenfalls, als es im aktuellen Tagesgeschäft möglich ist.
Einzige Vorgabe: Die Fälle müssen einen Bezug zu Nordrhein-Westfalen haben. So lässt sich dann auch über einen spannenden Promi-Fall der 1960er-Jahre berichten, der in Bayern spielte. Aber Vera Brühne, die ihren Liebhaber und dessen Haushälterin erschießen ließ, hatte nicht nur eine Zeit lang in Bonn gelebt, sie war auch die Tochter des Bürgermeisters von Essen-Kray.
Er hatte ein interessantes Alibi
Zu den Schwerpunkten zählen Strafprozesse, über die ich selbst berichtet habe. Da gab es eine Folge über den fünffachen Essener Frauenmörder Ulrich Schmidt oder eine über einen Bottroper, der sich für sein Alibi ins Krankenhaus legte, als ein von ihm beauftragter Killer seine Ehefrau erwürgte.
Auch gibt es Fälle, über die ich trotz meiner 64 Lebensjahre aus Altersgründen nicht aktuell berichtet hatte. Etwa über den „Vampir von Düsseldorf“ Peter Kürten, der in den 1920er-Jahren in der Rheinstadt wütete. Oder einen angesehenen Kaufmann aus Wetter an der Ruhr, der um 1590 nach intensiver Folter einen Mord gestanden hatte, den er kaum begangen haben kann.
Seriös berichten wir über diese Fälle. Faktentreu und ohne Sensationslust. Das war meine Bedingung für den Podcast. Brinja Bormann und Gesa Born liegen voll auf dieser Linie. Sonst ginge es auch nicht. Und damit haben wir Erfolg. Wir ordnen ein, erklären Hintergründe und vermitteln Grundsätze unseres Rechtsstaates. Mehrfach haben wir Reaktionen von Menschen bekommen, die in irgendeiner Form an den Fällen beteiligt waren, sei es als Angehörige oder ermittelnde Polizisten. Bisher haben sie unsere Arbeit gelobt.
Persönliches fließt auch mit ein. Selbstzweck ist dies nicht. So erfährt der Hörer in der Folge über einen schießwütigen Oberhausener von 1972, dass mein Vater, ein gesetzestreuer und bürgerlicher Mann, in den 1960er-Jahren mit seinen vier Kindern im Garten das Schießen mit dem Kleinkalibergewehr übte. Das war damals legal. Erst Jahre später untersagte der Bundestag den privaten Waffenbesitz.
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Dieser Beitrag erscheint anlässlich des 75. Geburtstages der WAZ. Alle Artikel zum Jubiläum finden Sie unter waz.de/75jahrewaz. Unsere große Jubiläumsausgabe können Sie auch online durchblättern als digitales „Flipbook“: waz.de/jubilaeum.