Essen. Die WAZ feiert ihren 70. Geburtstag. Aus diesem Anlass trafen sich Verlegerin Julia Becker und WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock zum Gespräch.
Das Gespräch zwischen Verlegerin Julia Becker und WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock moderierte Tobias Korenke.
Was bedeuten Ihnen 70 Jahre WAZ?
Zur Person
Julia Becker ist Enkeltochter von Jakob Funke, der gemeinsam mit Erich Brost die WAZ gegründet hat, und wurde in Essen geboren. Sie hat Germanistik, Anglistik und Theaterwissenschaften studiert.
Julia Becker ist Enkeltochter von Jakob Funke, der gemeinsam mit Erich Brost die WAZ gegründet hat, und wurde in Essen geboren. Sie hat Germanistik, Anglistik und Theaterwissenschaften studiert.
Seit 2012 sitzt Julia Becker im Aufsichtsrat der Funke Mediengruppe, am 1. Januar 2018 übernahm sie den Vorsitz. Sie ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt mit ihrer Familie im Münsterland.
Julia Becker: Das ist für unsere Familie ein ganz wichtiges Jubiläum, denn WAZ-Geschichte ist für uns immer auch Familiengeschichte. Vor 70 Jahren hat mein Großvater Jakob Funke gemeinsam mit Erich Brost die Zeitung gegründet, dann führten meine Mutter und ihre Schwestern den Verlag, seit Anfang dieses Jahres hat meine Generation Verantwortung übernommen. So macht mich der Geburtstag einerseits stolz, er führt einem aber auch die Verantwortung vor Augen, den Weg jetzt erfolgreich fortzuführen.
Was bedeutet es Ihnen, WAZ-Chefredakteur zu sein?
Andreas Tyrock: Beruflich gesehen: Alles! Die WAZ lässt einen nicht unberührt, sie ist etwas Besonderes. Die Familiengeschichte ist großartig. Das Verbreitungsgebiet ist spannend für Journalisten. Und es ist die größte Regionalzeitung in Deutschland und damit einfach eine Marke. Ich freue mich jeden Tag, diese Zeitung machen zu dürfen.
Welche Rolle spielt die WAZ in der Funke Mediengruppe?
Becker: Ganz klar, die WAZ ist das Herzstück. Sie ist der Grundstein und ohne sie wäre das Unternehmen nicht das, was es heute ist. Alle Zeitungs- und Zeitschriftentitel, die wir bei Funke verlegen, liegen uns am Herzen, aber die WAZ war eben zuerst da.
WAZ-Geschichte ist immer auch Ruhrgebietsgeschichte. Wo hat die WAZ wichtige Impulse gesetzt?
Tyrock: Die WAZ hat eine große integrative Kraft. Gerade in einer Region, die sich so radikal verändert, ist das von enormer Bedeutung. Die WAZ hält das Ruhrgebiet in gewisser Weise zusammen. Aber natürlich ordnet sie auch die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen ein und bewertet sie. Dabei ist sie stets mehr als ein Chronist, sie war und ist immer auch Motor der Entwicklung. Grundlegend ist ihre Bindung zum Ruhrgebiet: Wir berichten kritisch und distanziert, aber immer mit einer Liebe zur Region ...
Becker: ... und auch mit einer ordentlichen Portion Zuversicht. Ich finde, das ist ganz wichtig für die Grundstimmung, die eine Tageszeitung haben sollte. Es ist ja auch oft leichter zu kritisieren, gerade im Regionalen, als zu sagen, wie toll etwa ein Spielplatz gestaltet worden ist. Ich finde es gut, wie die WAZ mit einer gelungenen Mischung aus Distanz und Kritik einerseits und Empathie und Zuversicht andererseits berichtet.
Tyrock: Wichtig ist, dass wir für alle Menschen, die hier leben, relevant sind: Die WAZ hat den fast schon klassischen Taubenzüchter als Leser, den Bauarbeiter, aber auch die Menschen, die in den DAX–Konzernen und in den Universitäten arbeiten. Das ist eine enorme Bandbreite: Wir müssen sie alle erreichen und binden, indem wir ihnen einen Wissensvorsprung verschaffen, sie überraschen, sie informieren mit Dingen, die sie bisher so nicht kannten. Konkret heißt das: Ich bündele die Themen gern in Serien – wir haben etwa Serien zum Bergbau, zur Spitzenforschung, zur Zukunft der Region.
Ist die WAZ noch die Stimme des Reviers?
Tyrock: Ganz klares Ja. Wer wissen will, was hier los ist, wie sich das Ruhrgebiet, ja, auch wie sich NRW immer wieder neu erfindet, der muss die WAZ lesen.
Was macht Ihnen besonderen Spaß an der WAZ?
Becker: Zum einen der Essener Regionalteil. Ich finde es wichtig, auch wenn ich mittlerweile nicht mehr hier wohne, meine Heimat-Region zu verfolgen. Dann finde ich die WAZ von der Gestaltung her sehr ansprechend. Und ich liebe den Regionalsport. Eigentlich macht mir die ganze WAZ großen Spaß, jeden Tag.
Zur Person
Andreas Tyrock (54) , seit Juli 2014 WAZ-Chefredakteur, ist verheiratet und Vater zweier Söhne. Nach Abitur und zweijähriger Bundeswehrzeit schloss er 1991 sein Studium an der Universität Göttingen als Diplom-Sozialwirt ab.
1991 begann Andreas Tyrock als Volontär der Braunschweiger Zeitung, 2005 wurde er dort Mitglied der Chefredaktion. Von 2007 bis 2014 war er Chefredakteur des Bonner General-Anzeigers.
Tyrock: Wir wollen regional und lokal nah dran sein an den Menschen. Und wir wollen Themen setzen, die die Menschen wirklich interessieren. Klar, in einigen Bereichen gibt es in der Qualität sicherlich noch Luft nach oben. Aber das ist doch überall so: Man kann und muss immer noch besser werden. Insgesamt jedoch hat sich eine ganze Menge getan. Uns gelingt meines Erachtens die Mischung aus Nachrichten und eigenen Themen zunehmend besser. Ich finde auch in der Optik werden wir ansprechender. Wir sind modern und zeitgemäß, aber auch verlässlich und berechenbar – damit jeder weiß, wo was steht. Wie im heimischen Wohnzimmer.
Wir wissen, dass gerade jüngere Leser die WAZ auf ihrem Tablet oder ihrem Smartphone lesen wollen. Wie weit sind Sie hier?
Tyrock: Wir haben viel unternommen, um unsere Inhalte auch digital zugänglich zu machen. Denken Sie nur an WAZ.de oder unsere Aktivitäten in den Sozialen Netzwerken. Der Dreh- und Angelpunkt bleibt, ob es gelingt, mit journalistischen Inhalten im Netz Geld zu verdienen. Denn nur so können wir künftig journalistische Qualität garantieren. Da sind wir noch nicht weit genug.
Becker: Eine erfolgreiche „Paid Content Strategie“ haben auch die anderen Verlage noch nicht gefunden. So viel steht fest: Auch die Bezahlschranke allein wird uns nicht „retten“ . . . Wir werden zum Beispiel neue Abo-Modelle im Netz ausprobieren und denken über andere Erlösquellen und neue Geschäftsmodelle nach.
Welche Bedeutung haben denn überhaupt noch Nachrichten in der Zeitung? Die Leserinnen und Leser wissen doch schon alles aus dem Netz oder dem Fernsehen . . .
Tyrock: Klar, der Wert der Nachricht in einer Zeitung hat massiv abgenommen. Ich glaube aber, das eine Meldungsspalte noch völlig okay ist, also das Wichtigste finden die Leute noch wieder. Aus der Tagesschau oder aus dem Internet kennen sie es schon. Dann haben wir aber bei den großen Mittelblöcken die so genannten „Weiterdreher“ mit Einordnungen, Hintergründen und Erklärungen. Zusammengefasst: Der Printbereich der Nachricht wird weiter abnehmen und in absehbarer Zeit keine große Rolle mehr spielen.
Vor drei Jahren ist in Berlin die Funke-Zentralredaktion gegründet worden, die die Regionaltitel, auch die WAZ, mit überregionalen Berichten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beliefert. Was bedeutet das für die WAZ?
Tyrock: Ich möchte da gar nicht drum herum reden: So nachvollziehbar die Entscheidung für die Zentralredaktion auch ist, sie hat die WAZ schon hart getroffen. Natürlich fehlte plötzlich ein wesentlicher Teil der Redaktion. Und auch das Selbstverständnis ändert sich, wenn wichtige Inhalte zugeliefert werden. Aber die Zusammenarbeit mit den Berliner Kolleginnen und Kollegen, von denen ja viele vorher bei der WAZ gearbeitet haben, funktioniert sehr gut. Und wir nutzen die Chancen, die in dieser Aufstellung liegen: Wir konzentrieren uns jetzt mehr denn je auf eine hervorragende Regional- und Lokalberichterstattung. Da wollen wir die Besten sein, hier liegt unser Auftrag.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft der WAZ?
Becker: Natürlich hoffe ich auf eine stabile Abonnenten- und Auflagenentwicklung für die gedruckte Zeitung. Und ich wünsche mir, dass wir mit unseren journalistischen Digitalangeboten endlich auch Geld verdienen und damit guten Journalismus auch im Netz sichern können. Und ich wünsche der WAZ genau die Kraft, für die sie immer gestanden hat: Die starke Stimme im und für das Ruhrgebiet zu sein.
Tyrock: Ich wünsche mir das ebenfalls und bin mir sicher, dass sich die WAZ als regionale und lokale Kraft auch künftig profilieren wird. Ich wünsche mir aber auch, dass wir neue Produkte für spezifische Zielgruppen entwickeln, etwa für Sportfans oder Kulturinteressierte. Vielleicht gibt es sogar mal eine Studenten-WAZ. Auf jeden Fall bin ich sehr optimistisch: Die WAZ hat Zukunft.
Was wären Ihre Wünsche an die Verlegerin dabei?
Tyrock: Dass das in Erfüllung geht, was sich Frau Becker eben selbst für die WAZ gewünscht hat. Dass wir eine starke, journalistische Zeitung bleiben, die weiterhin frei arbeiten kann und politisch unabhängig bleibt. Ich wünsche mir, dass die Verlegerin weiterhin ein Grundvertrauen in die Redaktion hat. Und dass wir eine angemessene Ausstattung behalten.
Und was sind Ihre Erwartungen an den Chefredakteur?
Becker: Den Ball kann ich wunderbar zurückspielen. Im gegenseitigen Vertrauen werden wir die Marke WAZ in eine gute Zukunft führen. Der Weg wird bestimmt steinig, aber ich bin auch vollkommen davon überzeugt, dass wir ihn gemeinsam meistern werden. Das Wichtigste dabei ist ein offener Austausch. Wenn wir den pflegen, dann haben wir eine gute Chance, dass unsere Wünsche keine Wünsche bleiben, sondern auch in Erfüllung gehen.
Was sagen Sie jungen Leuten, die sich für den Beruf des Journalisten interessieren? Warum sollen sie Regionaljournalisten werden und sich bei der WAZ bewerben?
Tyrock: Man wird Journalist, um nah am Leben zu sein. Es gibt keine Form des Journalismus, der so authentisch und nah am Menschen ist, wie der Lokal- und Regionaljournalismus. Und die WAZ, das haben wir gerade skizziert, hat eine tolle Zukunft, weil Verleger und Redaktion an einem Strang ziehen und sie eine ausgezeichnete Redaktion hat. Übrigens legen wir großen Wert auf Nachwuchs. Junge Menschen mit Talent haben bei uns alle Möglichkeiten.
Becker: Menschen zu informieren über die Dinge, die in der Welt oder vor der Haustür passieren und das kritisch und objektiv zu tun, ist eine wahnsinnig wichtige Aufgabe. Menschen, die sich dazu entscheiden, dies zu tun, tragen am Ende ja auch eine gesellschaftspolitische Verantwortung. Darüber hinaus ist die WAZ Teil eines Medienhauses, in dem es unendlich viele und auch neue Wege einer Ausbildung gibt. Es gibt nicht nur die Redaktionen, sondern auch Vermarktung, Digital, Textgestaltung und so weiter. So viele neue Wege innerhalb eines Unternehmens auszuprobieren und gehen zu können, ist, glaube ich, ein Pluspunkt, den wir als modernes Medienunternehmen liefern können.