Nach der Parlamentswahl bleibt Premier Ruttes Partei stärkste Kraft. Linksliberale und Rechte gewinnen dazu. Wohin rückt die neue Koalition?

Dass Mark Rutte die Wahl gewinnt, war eigentlich schon klar, bevor die ersten Stimmen abgegeben wurden. Der amtierende Premier der Niederlande steht nach den Parlamentswahlen der vergangenen drei Tage vor seiner nächsten Amtszeit.

Der alte und perspektivisch neue Premier regiert die Niederlande damit seit über zehn Jahren – und wer weiß, wie lange noch. „Ich habe die Energie für weitere zehn Jahre“, verkündete Rutte bereits am Wahlabend.

Linksliberale sorgen für Wahlüberraschung

Doch ein paar Überraschungen hatte die Wahlnacht am Mittwoch dann doch parat: Die eigentliche Siegerin neben Mark Rutte ist Sigrid Kaag von der linksliberalen D66, derzeitige Junior-Koalitionspartnerin von Rutte.

Kaags Mitte-Links-Partei zog sogar an Geert Wilders Parteij voor de Vrijheid vorbei und verdrängte ebenso die Christdemokraten auf Platz vier. Die CDA war zuvor drittstärkste Kraft, verliert nun aber fünf Mandate.

Linksliberale überraschen bei Wahl

Was heißt das nun für Rutte? Ganze 17 Parteien haben es ins Parlament geschafft, ein Nachkriegsrekord. Das bedeutet in der Theorie auch mehr Möglichkeiten für eine Koalition - und mehr Zeit für die Koalitionsbildung.

Eigentlich keine Neuheit. „Die Niederlande sind das gewöhnt. Im Durchschnitt dauert die Koalitionsbildung vier Monate“, sagt Carla van Baalen von der Universität Nimwegen. Nach den letzten Wahlen waren es allerdings sieben Monate - ein Rekord.

Experten rechnen damit, dass es dieses Mal schneller gehen könnte. Die Corona-Pandemie dürfte die ersten Gespräche beschleunigen. Premier Rutte hat Optionen, und es heißt ja, er könne mit fast jedem. Doch wer arrangiert sich mit ihm? Die Verhandlungen könnten schwierig werden.

D66: Unter welchen Bedingungen in neue Koalition?

Der Premier zumindest hat bereits die D66 im Auge. Sigrid Kaag hatte unterdessen früh angedeutet, dass sie nur dann zu einer Fortsetzung der Koalition mit Ruttes VVD bereit sei, wenn eine weitere progressive Partei in die Regierung eintritt. Und Rutte favorisiert bekanntermaßen den christdemokratischen CDA.

Wer noch für eine Koalition in Frage kommt, wird sich zeigen, die ersten Annäherungen haben begonnen. Rutte hatte bereits vor der Wahl eine Koalition mit den Rechtspopulisten Geert Wilders sowie Thierry Baudet vom Forum für Demokratie ausgeschlossen.

Doch gerade Baudet ist der dritte Gewinner der Wahlnacht. Sein Forum für Demokratie holte unerwartet acht Sitze, zwei mehr als bislang. Baudet konnte damit den Hochrechnungen zufolge den größten Zuwachs an Mandaten erzielen.

Niederlande-Wahl: Zuwachs für Rechtspopulisten

Bereits vor zwei Jahren konnte er viele Wählerstimmen bei den Kommunalwahlen auf sich vereinen. Nach rassistischen Äußerungen war die Zustimmung in der Bevölkerung gesunken. Seine kritischen Corona-Äußerungen haben ihm aber offenbar wieder Rückhalt gegeben: Baudet forderte keine weiteren Lockdowns und eine grundsätzliche Änderung der Corona-Politik.

Dass die D66 Geert Wilders von Platz zwei verdrängte und Rutte sowieso nicht mit ihm koalieren möchte, kann deshalb nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Rechtspopulisten immer weiter im niederländischen Parlament festsetzen.

Niederländisches Parlament so rechts wie noch nie

Noch nie waren die rechtspopulistischen Parteien so stark in der Zweiten Kammer vertreten wie jetzt: 29 der 150 Parlamentssitze gehen an rechte Gruppierungen. Damit gehören ein Fünftel des Parlaments einem Lager an, welches sehr europakritisch eingestellt ist, das nationale Interessen in den Vordergrund stellt und eine Klimapolitik ablehnt.

Die rechten Parteien PVV, FvD und Ja 21 haben die nationale Karte gezogen. Ihre wichtigsten Standpunkt sind: Das Asylrecht drastisch eingrenzen, die Klimaschutzpolitik beenden, die Befugnisse der EU begrenzen, Bürgerreferenden stärker nutzen und mehr Geld für Gesundheit, Bildung und Sicherheit ausgeben.

Zugelegt hat vor allem die Partei Ja 21: Die Abspaltung von Baudets FvD kommt erstmals mit vier Abgeordneten ins Parlament. Kurz nach der Wahl hatte Premier Rutte Medienberichten zufolge Interesse an Ja 21 bekundet - was für die D66 kaum vorstellbar sei, wie die Zeitung de Volkskrant schrieb. Es könnte also noch spannend werden.

GroenLinks büßt deutlich Stimmen ein

Während das rechte Spektrum mit dieser Wahl also weiteren Zuwachs bekommt, haben sich die Grünen halbiert. In den niederländischen Medien wird das damit erklärt, dass sich die Partei nach ihrem guten Abschneiden vor vier Jahren gegen eine Regierungsteilnahme entschieden hatten. Und der Klimaschutz ist mittlerweile auch für andere Parteien ein Kernthema. Viele frühere Grünen-Wähler wechselten ersten Befragungen zufolge zur linksliberalen D66.

Ein solcher Wechsel ist nicht ungewöhnlich, die „zwevende kiezers“ – die Wechselwähler – sind typisch für die Niederlande. „Die Menschen in den Niederlanden sind meist einem linken oder rechten Spektrum verbunden, nicht aber einer Partei“, erklärt Wissenschaftlerin Carla van Baalen. „Sie wechseln schnell zwischen den Parteien eines Spektrums. Ein Wechsel zwischen dem linken und dem rechten Spektrum kommt nur sehr selten vor.“

So sehen auch niederländische Analysten noch keinen eindeutigen Rechtsruck. In der niederländischen Tageszeitung de Volkskrant heißt es, dass die Wahlen in erster Linie für eine Verschiebung innerhalb des politischen Ideenspektrums gesorgt haben. Also alles doch beim Alten? Nicht ganz. In welche Richtung sich Ruttes künftige Koalition tatsächlich bewegt, ist noch offen (red. mit dpa/AFP).