Grefrath. Das Niederrheinische Freilichtmuseum in Grefrath zeigt die Ausstellung „Räuber der Provinz“ und erzählt u.a. die Geschichte der Mehlbeutel-Bande.

Die Verwandlung geht schnell: Einfach einen alten Lederhut aufsetzen, graue Wollstulpen überziehen und sich dann nur noch ein langes Säbelmesser schnappen – schon steht mitten im Niederrheinischen Freilichtmuseum ein waschechter Räuber, der praktischerweise gleich noch ein Selfie vor der Fotowand knipsen kann. Doch Vorsicht! Es hat einen Grund, wieso die Kostümbox direkt am Eingang steht… Nach einem Besuch der Ausstellung „Räuber der Provinz. Räuber und Räuberbanden im Rhein-Maas-Raum“ könnte sich so manch einer fragen: Will ich wirklich so aussehen wie der Fetzer, der Schinderhannes oder gar wie einer von der Mehlbeutel-Bande?

Räuber am Niederrhein gab’s eigentlich schon immer, weiß Museumsleiterin Anke Petrat: „In nicht so dicht besiedelten Gegenden wie hier hatten sie bessere Chancen, sich zu verstecken.“ So legte schon im vierten Jahrhundert ein gewisser Charietto eine steile Karriere hin – vom Räuberhauptmann zum Befehlshaber. Wie das geht? Nun, zunächst sah alles noch nach einem klassischen Werdegang aus: Er lebte im rechtsrheinischen Gebiet und plünderte im linksrheinischen Gebiet. Später gründete er eine Bande, die seine ehemaligen Kollegen ausraubte. Und als sei das nicht genug, bot er dann auch noch dem römischen Caesar Julian seine Dienste an. Immerhin wusste kaum jemand so viel über die Räuber wie er!

„Der Fetzer“ aus Grefrath

„Das war ein cleverer Schachzug“, betont Anke Petrat. Ja, die Raffinesse der Räuber zeigte sich immer wieder, doch auch die Dorfbewohnerinnen und -bewohner entwickelten immer mehr Tricks, um sich gegen die Überfälle zu schützen. Davon zeugen in einer Glasvitrine römische Schlüssel oder aber… eine römische Scherbe? Tatsächlich, wer genau hinsieht, erkennt darauf einen eingeritzten Namen. Durch das Personalisieren wurde eine Schüssel plötzlich uninteressant für Diebe. Aber klar, die meisten gaben sich sowieso nicht mit billigen Alltagsdingen zufrieden, sondern wollten lieber viel Geld erbeuten. So wie Mathias Weber, auch bekannt als „der Fetzer“. Und ja, der Name kommt nicht von ungefähr…

In der Ausstellung „Räuber der Provinz
In der Ausstellung „Räuber der Provinz" im Niederrheinischen Freilichtmuseum in Grefrath können sich Besucherinnen und Besucher als Räuber verkleiden. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Mathias Weber wurde 1778 in Grefrath geboren, allerdings, das hat die Forschung erst spät herausgefunden, „Grefrath bei Neuss“, sagt Anke Petrat. Sein erstes großes Verbrechen: Er schloss sich zwei Soldaten an, die einen Amsterdamer Postwagen überfallen wollten. Zusammen erbeuteten sie 3000 Dukaten. „Das war der Anfang einer kurzen Karriere, in der er allerdings viel Unheil anrichtete“, erzählt sie. Und weil er ein „gewitztes Kerlchen“ war, schaffte er es immer wieder, der Polizei zu entkommen. Schon bald hieß er „der Fetzer“ – „weil er geschickt mit dem Messer umgehen konnte und Seile zerfetzen konnte“, sagt sie. Aber, auch das gehört zur Wahrheit dazu, „weil er ebenso Knochen brach.“

Peinliche Gerichtsordnung

Dabei sieht das Portrait auf dem Steckbrief, mit dem er gesucht und später auch gefunden wurde, überraschend harmlos aus. Doch auch das kann nicht verhehlen: Das Räuberleben war alles andere als romantisch-abenteuerlich! Und genau das möchte die Ausstellung aufzeigen. „Das sind alles Geschichten, die eine Bedeutung für die Region haben“, betont Anke Petrat. „Aber das hat nichts mit der Verklärung von Robin Hood zu tun.“ Gut, so manch einer nahm zwar von den Reichen und gab den Armen – „allerdings nur damit sie ihn versteckten.“ Dazu zählte auch Wilhelm Brinkhoff, der „Schinderhannes vom Niederrhein“, der in der Bönninghardt unterkam. Vielleicht ja in einer solchen, hier nachgebildeten, Plaggenhütte?

Bücher über die Bockreiter sind ebenfalls in der Ausstellung „Räuber der Provinz
Bücher über die Bockreiter sind ebenfalls in der Ausstellung „Räuber der Provinz" im Niederrheinischen Freilichtmuseum in Grefrath zu finden. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Im Ödland auf der Gocher Heide war die Armut und damit auch die Unterstützungsbereitschaft für Räuber groß. So konnte Wilhelm Brinkhoff immer wieder die Region um Rheinberg und Kleve unsicher machen, bis er verhaftet wurde… Doch er brach aus, galt von da an als „vogelfrei“, und flüchtete schließlich nach Amerika. Von dort aus schrieb er der Staatsanwaltschaft in Kleve einen Brief – mit schönen Grüßen! Doch nicht für alle Räuber ging es so glimpflich aus. Dazu geht’s nun einmal in den nächsten Teil der kleinen Ausstellung, hinter das hölzerne Gitter, wo sich alles um die „Peinliche Gerichtsordnung“ dreht. Das klingt vielleicht lustig, ist aber nix für zarte Seelen. „Die peinliche Frage war die Folter“, erklärt die Leiterin.

Mit dem Teufel im Bunde

Denn um jemanden zu verurteilen, brauchte es bis zum 19. Jahrhundert zwei Zeugen oder ein Geständnis. Kam Letzteres nicht im Rahmen der „gütlichen Frage“ zustande, kam es zur „peinlichen Frage“ – also der Befragung durch Folter. Und die Strafen? „Die meisten wurden enthauptet“, antwortet Anke Petrat. So wie viele Männer – und Frauen – der Mehlbeutel-Bande. Die Erklärung für den seltsamen Namen ist unspektakulär, der Anführer trug den Spitznamen „Mehlbeutel“, viel spannender ist dagegen die Geschichte der Bockreiter-Bande, die seit den 1730er Jahren im Rhein-Maas-Raum unterwegs war. Innerhalb kürzester Zeit waren sie an verschiedenen Orten, brachen immer wieder in Kirchen ein.

Von wegen romantisch-abenteuerlich! Bei den Räubern ging’s oft brutal zu, wie die Ausstellung „Räuber der Provinz
Von wegen romantisch-abenteuerlich! Bei den Räubern ging’s oft brutal zu, wie die Ausstellung „Räuber der Provinz" im Niederrheinischen Freilichtmuseum in Grefrath zeigt. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Dafür konnte es nur eine Erklärung geben: „Die Leute dachten, dass sie mit dem Teufel im Bunde standen und auf Ziegenböcken durch die Luft flogen“, sagt die Leiterin. Anders konnten es sich die Menschen einfach nicht erklären! Tatsächlich gerieten die Bockreiter nie in Vergessenheit, mehrere Bücher und sogar eine niederländische Serie beschäftigten sich mit den „teuflischen Räubern“. Ja, die Faszination für das Thema ist ungebrochen, deshalb wird’s zum Schluss doch noch romantisch-abenteuerlich – in der Leseecke für Kinder, wo „Ronja Räubertochter“ und „Räuber Hotzenplotz“ natürlich nicht fehlen dürfen. Das macht vielleicht wieder Lust auf eine Verwandlung zum Räuber und ein Selfie vor der Fotowand…

>>> Von Moers nach Grefrath

„Räuber der Provinz. Räuber und Räuberbanden im Rhein-Maas-Raum“ ist eine Ausstellung des Grafschafter Museums, das bereits im Moerser Schloss gezeigt wurde und nun bis zum 11. Februar jeden Tag außer montags von 10 bis 16 Uhr im Niederrheinischen Freilichtmuseum zu sehen ist.

Die Ausstellung wurde im Rahmen des Themenschwerpunktes „Provinz“ des Kulturraum Niederrheins und des Niederrheinischen Museumsnetzwerkes durch die Regionale Kulturförderung NRW unterstützt. Weitere Informationen sind online zu finden unter www.niederrheinisches-freilichtmuseum.de