Uedem. Jochen Kanders pflanzt Bienenweiden. Damit leistet er einen Beitrag gegen das Insektensterben – und gibt allen die Möglichkeit, mitzumachen.
Der Weg ist holprig, macht aber nix, denn das Ziel lohnt sich: Hoch oben auf dem Berg, irgendwo zwischen Uedem und Kevelaer, erstreckt sich ein weites Meer aus bunten Blumen. Und selbst jetzt noch, wenn der Spätsommer langsam aber sicher in den Herbst übergeht, blühen die Margeriten noch gelb und die Hundskamillen weiß, achja, „und hier die Lilafarbenen, das sind Malven“, erklärt Jochen Kanders. Nun ist der Uedemer nicht etwa Botaniker, sondern Landwirt. Durch sein Projekt „Bienenweide“ aber ist er zum Experten geworden – für Blümchen, aber vor allem auch für Bienchen.
Wie alles begonnen hat? „Ich war 2019 in Bayern unterwegs“, erzählt Jochen Kanders. Genau zu dem Zeitpunkt, als dort gerade das Volksbegehren „Rettet die Bienen“ große Zustimmung fand. Die Artenvielfalt dauerhaft zu sichern, das ist ein wichtiges Ziel, findet auch er. „Aber das Programm ging zu Lasten der Landwirte“, sagt er. „Die Bauern müssen noch mehr einhalten zum Nulltarif.“ Moralisch sei das verwerflich, „immer nur mit dem Finger auf andere zu zeigen.“ Deshalb überlegte er, wie er nicht nur sich selbst engagieren könnte… „Ich wollte auch den Leuten eine Möglichkeit bieten, etwas tun zu können.“
Updates von der Bienenweide
85 Hektar bewirtschaftet der Landwirt, baut darauf Kartoffeln, Zuckerrüben, Weizen und Mais an. Wie wäre es denn, wenn er einen Teil den Insekten überlassen würde? Doch so eine „Bienenweide“ bringt keine wirtschaftlichen Einnahmen, muss also anders finanziert werden. Deshalb bot er 2019 als „einer der Ersten in NRW“, wie er sagt, Patenschaften über Ebay Kleinanzeigen an. Und damit ging’s dann so richtig los. Zeitschriften und Zeitungen berichteten über sein Vorhaben, „eins kam zum anderen“, Pfadfinder organisierten extra einen Bienenweidenspendenlauf, Fernsehsendungen berichteten drüber…
Kurz, die Idee kam an und das Projekt konnte an den Start gehen. Alles gut, also? Nunja, „2019 war direkt ein Dürrejahr“, erzählt Jochen Kanders. Bald schon blühte auf der Blühwiese… nix. „Außer Sonnenblumen und Phazelien.“ Das sah zwar auch ganz schön aus, war aber doch etwas eintönig. „Mir war das dann echt peinlich, als ich die Fotos den Paten geschickt habe“, gibt er zu. Denn auch das gehört zum Service: Wer eine Patenschaft übernimmt, erhält im Gegenzug regelmäßig Updates von der Bienenweide. Der Hersteller der Saatgutmischung versicherte zwar, dass es nicht am Anbau lag, aber eines stand fest:
Seltene Wildbienen
„Wir mussten die Vielfalt erhöhen“, sagt der Landwirt, „dadurch blüht dann immer etwas.“ Dort beispielsweise, er zeigt auf die gelbe Mitte der Wiese, „ist der Boden eigentlich schlechter, weil viel Sand und Kies drinsteckt“, sagt er, „deshalb waren die Pflanzen quasi in Starre und kommen jetzt erst dank der nassen Tagen nach.“ 50 verschiedene Wildkräuter stehen auf einer Fläche von insgesamt 2,2 Hektar, dazu kommen 15 weitere Kulturarten, und darüber freuen sich… „über 350 Insektenarten.“ Das weiß er so genau, weil der Insektenspezialist Hermann-Josef Windeln ihn ehrenamtlich unterstützt.
Der Experte hat außerdem herausgefunden, dass von den 35 Bienenarten neun auf der roten Liste stehen. Unter anderem die „Dichtpunktierte Goldfurchenbiene“, erklärt Jochen Kanders. Und ja, er hat lang geübt, damit er den Namen so flüssig über die Lippen bringen kann. Aber das ist ihm wichtig, denn eigentlich gilt ebenjene Wildbienenart in NRW als ausgestorben. „Und das zeigt doch, dass wir hier etwas richtig machen“, hält er fest. Dazu kommen aber eben noch viele weitere, zum Beispiel auch die „Rainfarnbiene“, eine seiner Lieblingsbienen.
Auf der Suche nach Insekten
Von ihr kann der Landwirt direkt ein Foto auf seinem Smartphone zeigen. „Das sieht doch einfach klasse aus“, findet er. Gerade ist der gelbe Rainfarn zwar schon etwas verblüht, er deutet auf die Überbleibsel, dennoch hat es sich gerade ein Wasserkäfer darauf gemütlich gemacht. „In meiner Ausbildung habe ich nur die Schadinsekten und ihre Gegenspieler kennengelernt“, sagt er, „aber der Insektenforscher hat mir die Augen für das Unscheinbare geöffnet.“ Deshalb zieht er nun auch schon mal mit seinen Kindern los, immer auf der Suche nach Insekten, und entdeckt dabei viel Spannendes.
Einfach mal in die Hocke gehen, dann erscheint die Wiese auf einmal wie ein Dschungel! Und dort drüben, da fliegt doch gerade ein… „Kohlweißling“, sagt Jochen Kanders. Eigentlich braucht die Raupe, wie es der Name schon andeutet, Kohl, aber auch auf Fenchel fühlt sie sich wohl. Hier, er nimmt eine verblühte Pflanze und zerreibt sie, „das riecht ein bisschen wie Anis.“ Und auch über die Brennnessel am Wegesrand freut sich jemand, beispielsweise die Raupe des Kleinen Fuchses, des Tagpfauenauges und des Admirals. „Das menschliche Auge ist viel zu sehr auf Ordentlichkeit getrimmt“, betont er.
Tipps für den eigenen Garten
Deshalb im eigenen Garten das vermeintliche Unkraut im Garten einfach mal wachsen lassen, den Rasen nicht wöchentlich mähen und die Bienenweide „bitte auch stehenlassen“, sagt der Landwirt. Fünf bis sechs Jahre können die Pflanzen wachsen und gedeihen, danach aber muss auch er seine Flächen komplett umpflügen und neu einsäen. Einige Meter vom gelben Blütenmeer entfernt befindet sich die älteste Bienenweide, die mittlerweile hauptsächlich aus Gras und Gänsefuß besteht. Im Oktober bricht er die Fläche um, im Frühjahr kommt dann die Saatgutmischung drauf.
Und dann kann das blühende Farbspiel wieder losgehen, auf das sich übrigens nicht nur die Insekten stürzen. Denn wer genau hinschaut, kann auch schon mal in der Erde die Spuren eines Rehs entdecken… „Dort drüben war eines“, sagt Jochen Kanders und zeigt auf die Abdrücke. Ja, wenn er hier oben auf dem Berg ist, dann kommt er selbst kaum aus dem Staunen heraus. Deshalb geht’s ihm mittlerweile auch nicht mehr nur darum, Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu suchen, sondern gern auch Nachahmerinnen und Nachahmer. „Das Insektensterben gibt’s immer noch“, sagt er. Und alle können etwas dagegen tun – im Großen oder Kleinen.
>>> Blühpatenschaften
Mit seinem Projekt hat Jochen Kanders schon einige Preise gewonnen: Darunter den Beebetter Award 2022 in der Kategorie „Landwirtschaft“ und den Deutschland summt Preis 2023 in der Kategorie Vereinsgärten, Liegenschaften, Sonstige.
Aktuell sind 150 Patenschaften vergeben, es sind aber genügend Kapazitäten für weitere Patenschaften vorhanden. Deshalb ist der Landwirt stets auf der Suche nach neuen Interessierten.
Jede Patenschaft gilt zwei Jahre, umfasst 100 Quadratmeter Bienenweide und kostet 50 Euro im Jahr. Weitere Infos sind zu finden unter www.welleshof.de