Krefeld. Eine internationale Wanderausstellung macht Halt am Niederrhein: Das Textilmuseum in Krefeld zeigt „Fiber Art“ mit Kunstwerken, die überraschen.

Erstmal ankommen und stehenbleiben und hinschauen. Passiert nix? Doch! Aber um das zu erkennen, braucht es Geduld. Langsam, wirklich sehr langsam, zieht die überdimensionale Blume ihre drahtigen Blütenblätter zusammen und auseinander und zusammen… Ja, wer sich auf die „Flower of Trust“ der schwedischen Künstlerin Ulrika Berge einlässt, startet mit einer gewissen Ruhe in die Ausstellung „Fiber Art. Asia – Europe V“ eines internationalen Kollektivs im Deutschen Textilmuseum Krefeld. Und das ist durchaus hilfreich, denn hier gibt’s gleich 36 Kunstwerke zu entdecken.

Genau hinschauen: Die „Flower of Trust“ von Ulrika Berge im Deutschen Textilmuseum Krefeld bewegt sich.
Genau hinschauen: Die „Flower of Trust“ von Ulrika Berge im Deutschen Textilmuseum Krefeld bewegt sich. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Textilien zeigen alles auf“, erklärt Annette Schieck, Direktorin des Museums. „Jedes Thema, von Kulturgeschichte über Sozialkritik bis hin zu Wirtschaft, lässt sich damit darstellen.“ Kein Wunder, dass die einstige Studiensammlung der Krefelder Gewerbeschule von 1880 bis heute zu einer imposanten Kunstsammlung des Textilmuseums angewachsen ist. Über 30.000 Objekte gehören zum Bestand, die ältesten stammen aus der präkolumbianischen Zeit. „Das war um 700 vor Christus“, erklärt sie. Nun gibt’s dabei allerdings ein Problem…

Kunstwerke aus Alltagsobjekten

„Textilien sind so empfindlich, dass es immer kühl und dunkel sein muss“, sagt Annette Schieck. Um die Arbeiten zu schonen, präsentiert das Museum daher keine Dauer-, sondern nur Wechselausstellungen. Und dieses Mal geht’s eben um die „Fiber Art“. Was das ist? Silke Büchel, Kuratorin der Ausstellung, kann es erklären: „Fasern sind bei allen Arbeiten der kleinste gemeinsame Nenner.“ Das können Baumwollfasern sein, aus denen Kleidung entsteht, das können aber auch Plastikfasern sein, die sich mittlerweile fast überall wiederfinden. Zum Beispiel auch in… „Twist Ties“, sagt sie. Schon mal gehört?

Beutelverschlussclipser im Kunstwerk „Dream 2“ von Mi-Kyoung Lee, ausgestellt im Deutschen Textilmuseum Krefeld.
Beutelverschlussclipser im Kunstwerk „Dream 2“ von Mi-Kyoung Lee, ausgestellt im Deutschen Textilmuseum Krefeld. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Falls nicht, dann ruhig einen Schritt näher an den großen, runden, gelben „Dream 2“ der südkoreanischen Künstlerin Mi-Kyoung Lee herangehen. Gut, Silke Büchel kann noch einen Tipp geben: „Beutelverschlussclipse.“ Genau, ebenjene Kunststoffbänder, mit denen sich Gefrierbeutel verschließen lassen. „Die Dinger, die alle in der Küche haben und doch nie benutzen.“ Im Gegensatz zur Künstlerin, die daraus eine Installation geflochten hat. Das Ziel: einen Gegensatz zwischen natürlicher Bildsprache und künstlichen Materialien herzustellen. Ein weiterer wichtiger Aspekt: „Aus Alltagsobjekten entstehen Kunstwerke.“

Es regnet Angelschnüre

Auch die japanische Künstlerin Kakuko Ishii nutzt Materialien, die normalerweise in anderen Kontexten zu finden sind: Dünne Papierstreifen für japanische Zeremonien. Daraus knotet sie federleichte Objekte, die immer anders aussehen – manchmal auch wie Vogelnester. „Gerade die japanischen KünstlerInnen haben sich ein Material festgelegt und bemühen sich nun, ihre Technik zu perfektionieren“, weiß die Kuratorin. Yasuko Iyanaga hat sich beispielsweise auf Seidenorganza spezialisiert, den sie jedes Mal aufs Neue färbt und faltet. Herausgekommen sind dabei nun „Spirits“, blauweiße… Seepocken?

Unglaublich, aber wahr: Die „Microscopic Creatures“ von Makiko Wakisaka bestehen aus den Blattgerüsten der Physalis.
Unglaublich, aber wahr: Die „Microscopic Creatures“ von Makiko Wakisaka bestehen aus den Blattgerüsten der Physalis. © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Silke Büchel zuckt mit den Schultern. „Vieles spielt mit Assoziationen“, sagt sie. Dort drüben, das zarte Kunstwerk aus zahlreichen Angelschnüren, trägt das aufkommende Gefühl beim intensiven Betrachten sogar im Titel: „This reminds of Rain“, also „Das erinnert an Regen“. Oder die „Microscopic creatures“ von Makiko Wakisaka, die aus hauchdünnen Blattgerüsten bestehen. „Das waren mal Physalis“, erklärt die Kuratorin, „die mit Nylonfäden zusammengenäht sind.“ Um nun wie geisterhafte Riesenraupen auf einem weißen Podest zu stehen…

Gestickte Blumen auf verrosteter Gießkanne

Manchmal ist es das Material, manchmal ist es die Technik, die ein Kunstwerk zur „Fiber Art“ macht. Kenji Sato verwendet beispielsweise „gewöhnliches Papier“, wie er selbst sagt, das er mit Wachs und Tusche bemalt. Anschließend schneidet er es in Streifen, die er wiederum zu einem „Place“ verwebt. Selbst alte Moskitonetze und Kimonos lassen sich zu neuen Kunstwerken verweben, wie Hayashi Toko mit „Multiply“ beweist. Und dann steht dort auf einmal eine verrostete Gießkanne, die auf den ersten Blick nichts mit Textilkunst zu tun hat…

Aber einfach mal drumherum gehen, denn auf der anderen Seite hat die litauische Künstlerin Severija Incirauskaite-Kriauneviciene ein klassisches Kreuzstichmotiv gestickt: Blumen auf Metall als „Manifestationen der Alltagskreativität“, wie es die Künstlerin formuliert. Ja, die 36 Kunstwerke laden alle zum Nachdenken ein, allerdings müssen manche erst gefunden werden… Hier geht’s lang, einmal um die Ecke, da ertönt auch schon das leise Rattern eines Motors. Ein Rad mit Speichen aus blauen Fäden wirft einen zarten – allerdings aufgemalten – Schatten auf ein rundes Podest. In meditativer Langsamkeit dreht sich „A memory of a Drum“ der schwedischen Künstlerin Klara Berge, um einen Moment des Staunens zu heraufzubeschwören. Allerdings nur für diejenigen, die stehenbleiben und hinschauen. Ganz genau.

>>> „Fiber Art“ im Deutschen Textilmuseum Krefeld

Nach Stationen in Belgien, Dänemark und Finnland ist die Ausstellungsreihe „Fiber Art: Asia-Europe 5“ noch bis zum 3. September im Deutschen Textilmuseum Krefeld zu sehen. Es ist die letzte Station der Wanderausstellung, zudem die einzige in Deutschland.

Die fünfte Auflage von „Fiber Art: Asia-Europe“ vereint 37 Künstlerinnen und Künstler aus Asien und Europa. Marika Szäraz (Luxemburg) und Raija Jokinen (Finnland) haben die Ausstellung organisiert, Silke Büchel und das Team des Deutschen Textilmuseums haben sie in Krefeld in Szene gesetzt.

Das Deutsche Textilmuseum Krefeld, Andreasmarkt 8, öffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr. Erwachsene zahlen 4,50 Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren haben kostenfreien Eintritt. Weitere Infos: www.deutschestextilmuseum.de