Am Niederrhein. Eine Bombe explodierte 1923 auf der Rheinbrücke zwischen Hochfeld und Rheinhausen. Wie es dazu kam – und wie es danach weiterging.

In der Nacht vom 29. auf den 30. Juni 1923 zerriss eine Explosion die nächtliche Ruhe am Duisburger Rheinufer. Auf der Brücke von Hochfeld nach Rheinhausen explodierte eine Bombe in einem Zug und zerstörte einen kompletten Waggon. Darin hatten sich belgische Besatzungssoldaten befunden, die seit Januar 1923 zusammen mit französischen Streitkräften weite Teile des Ruhrgebiets okkupiert hatten und dort für die Sicherung der Kohlelieferungen aus dem Ruhrgebiet nach Frankreich und Belgien im Einsatz waren.

Diese Lieferungen waren im Versailler Vertrag festgehalten worden, der den deutschen Verlierern des ersten Weltkriegs Besatzung und Reparationen auferlegt hatte. Der Bombenanschlag mit über 20 Toten – neben belgischen Soldaten zählten auch Zivilisten, die im Zug mitgefahren waren, zu den Opfern – war Höhe- und zugleich Wendepunkt in den Widerstandshandlungen, die seit dem Einmarsch im Winter immer weiter eskaliert waren.

Bergleute und Bahnpersonal legten Gütertransport lahm

Unmittelbar nach dem Einfall im Januar hatte die Reichsregierung zum Generalstreik und zum passiven Widerstand aufgerufen, um den Abtransport von Kohle und Industrieerzeugnissen zu verhindern. Insbesondere die Bergleute und das Bahnpersonal waren diesem Aufruf gefolgt und hatten den Gütertransport nach Westen praktisch lahmgelegt. Die Requirierung der Kohle durch eigene Streitkräfte und die Übernahme des Bahnbetriebs mit französischem Personal hatte immer wieder zu Reibereien, zu handfesten Auseinandersetzungen und schließlich am Karsamstag, dem 31. März 1923, zu 13 toten Arbeitern in Essen geführt, die sich der Beschlagnahmung von Fahrzeugen auf dem Krupp-Gelände in den Weg gestellt hatten.

Daraufhin wurde aus dem passiven ein aktiver Widerstand im Sinne einer Wirtschaftssabotage, die durch Anlagenzerstörung und Anschläge auf Bahnlinien empfindliche Beeinträchtigungen im Betriebsablauf erreichen konnte. Diese Maßnahmen erfolgten unter Duldung und Hilfestellung der Regierung sowie der Industrie in den besetzten Gebieten.

Und damit nicht genug

Allein mit Streik und Sabotage gaben sich revanchistische Kreise aus ehemaligen Reichswehr- und Freikorpsverbänden aber nicht zufrieden. Sie wollten mit gezielten Anschlägen und Attentaten die Besatzungstruppen bekämpfen. Ein erstes „Unternehmen Wesel“ mit bewaffneten Verbänden war an Ostern noch entdeckt worden und gescheitert. In der Folgezeit beschleunigten sich die Anschläge auf Transporte und Infrastruktur.

Der Regierung und der Wirtschaft wurden jedoch in der Zwischenzeit die Art und Anzahl der Anschläge zu heikel. Sie entzogen den aktiven Kämpfern die Unterstützung und weitere Versorgung mit Material: der Sprengstoff wurde deutlich weniger, das Geld stand nicht mehr zur Verfügung und die Polizei hintertrieb die Aktivitäten. Wie weit sich der Widerstand jedoch schon verselbstständigt hatte, zeigte sich darin, dass im Juni 1923 von rechtsgerichteten Kreisen ein Bombenanschlag auf eine SPD-Druckerei in Münster durchgeführt wurde. Diese Warnung galt dem Innenminister Severing, von dem sich die Nationalisten verraten fühlten.

Albert Leo Schlageter als erster Märtyrer des Widerstands

Zu diesem Zeitpunkt hatten die Widerständler bereits ihren ersten Märtyrer. Am 7. April war Albert Leo Schlageter in Essen von der französischen Polizei verhaftet worden. Der bis dahin vollkommen Unbekannte wurde für verschiedene Anschläge in Essen und Kalkum sowie wegen Spionage gegen die Besatzungstruppen angeklagt und im Mai wurde ihm in Düsseldorf der Prozess gemacht. Am 9. Mai erfolgte das Todesurteil. Berufung und Gnadengesuche hatten keinen Erfolg.

Der Denkmal des Künstlers Arno Breker am Haus Schmithausen in Kleve.
Der Denkmal des Künstlers Arno Breker am Haus Schmithausen in Kleve. © Ohl

Der französische Ministerpräsident Poincaré unterschrieb persönlich den Befehl zur Hinrichtung, die am 26. Mai auf der Golzheimer Heide in Düsseldorf durchgeführt wurde. Diese Hinrichtung wurde als Willkürakt angesehen und steigerte in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit den Hass gegen die Besatzung. Auch die Franzosen erkannten, dass diese Maßnahme ihren Zwecken nicht dienlich war, so dass Schlageter das einzige Todesurteil blieb.

Zehn Jahre später

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zehn Jahre später wurde sein Tod noch einmal in besonderer Weise instrumentalisiert. Schlageter wurde als Held gefeiert und zum ersten Soldaten für das Dritte Reich erklärt, Düsseldorf mit dem Namen „Schlageterstadt“ betitelt. Es ist das bekannteste Beispiel der NS-Heldenverehrung.

Der Gedenkstein am Rheinberger Rheinufer.
Der Gedenkstein am Rheinberger Rheinufer. © Ohl

Bei Josef Sprenger aus Ossenberg und Hermann Vingerhoet aus Kellen wurden ähnliche Versuche gestartet, denn beide waren bereits im Dezember 1919 in der Nähe ihrer Wohnorte durch unglückliche Umstände zu Opfern belgischer Patrouillen geworden. Ihnen wurden Denkmäler gesetzt, mit denen sie als Freiheitskämpfer instrumentalisiert werden sollten. Beide Gedenksteine haben sich bis zum heutigen Tag erhalten.

>>> Zur Erinnerung

Die Denkmäler, die an Josef Sprenger aus Ossenberg und Hermann Vingerhoet aus Kellen erinnern sollen, existieren bis heute. Sprenger, am 5. Dezember 1919 von der belgischen Besatzung erschossen, wurde mit einer Schrifttafel auf einem Gedenkstein an der Momm in Rheinberg verewigt. Vingerhoet, am 31. Dezember 1919 ermordet, wurde ein Gedenkstein am Haus Schmithausen in Kleve gewidmet.