Rhein und Ruhr. Hunderte vollständig Geimpfte haben sich in NRW bereits mit Corona infiziert. Ein Grund zur Sorge? Der Essener Virologe Mirko Trilling klärt auf.
Immer wieder infizieren sich in NRW Menschen trotz vollständigem Impfschutz. Aus Duisburg sind bislang 113 Fälle bekannt, in denen es zu einem sogenannten „Impfdurchbruch“ kam. Der Kreis Kleve zählt 66, der Kreis Viersen 21 und der Kreis Wesel 18 Personen, bei denen nach der zweiten Impfung das Coronavirus nachgewiesen wurde. In Köln haben sich laut Stadt-Angaben sogar über 600 vollständig Geimpfte infiziert. Doch wie kann es dazu kommen? Und was verraten die Zahlen über die Wirkung der Corona-Vakzine? Virologe Mirko Trilling von der Uniklinik Essen beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wie alarmierend sind die Zahlen?
„Es kommt immer darauf an, die Anzahl der Infektionen und schweren Krankheitsverläufe bei zweifach Geimpften in Relation zur Gesamtzahl aller Infektionen zu betrachten“, so Trilling. Daten von Todesfällen und Infektionen bei Geimpften ohne Referenzwerte würden weltweit zur Verwirrung führen. Die Zahlen dürften nicht aus dem Kontext gerissen werden, warnt der Virologe. „Das pflanzt bei den Bürgern unterbewusst die falsche Idee ein, dass die Impfung nicht gut schützen würde.“
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In Köln starben bislang acht Personen trotz zweifacher Impfung. Bezogen auf die Gesamtzahl von 727 Todesopfern seien acht Fälle zwar tragisch, aber „nicht besonders auffällig“. Auch die über 600 Infektionen unter vollständig Geimpften seien bezogen auf insgesamt mehr als 53.000 Corona-Fälle in Köln „relativ wenige“. In Düsseldorf lag der Anteil der vollständig Geimpften seit dem 28. Juni bei 9,1 Prozent. „Die Daten aus einzelnen Städten sind aber zu gering, um belastbare Rückschlüsse zu ziehen“, so Trilling. Fakt sei: „Die zweifache, vollständige Impfung ist der beste Schutz, den man haben kann.“
Gibt es Personen, bei denen die Impfung weniger wirkt?
„Bei Menschen mit einer Tumorerkrankung oder nicht adäquat behandelten HIV-Infektionen kann die Immunantwort zu gering ausfallen“, erklärt der Virologe. Auch bei Transplantatempfängern oder älteren Menschen sei es tendenziell etwas schwieriger, eine komplett schützende Immunantwort zu erzielen. Komme es trotz vollständigem Impfschutz zu einer Infektion, sei es deshalb umso wichtiger, sich den Einzelfall anzuschauen. Laut Trilling müsse überprüft werden, ob die betroffenen Personen „aufgrund ihres medizinischen Hintergrundes in der Lage waren, einen Schutz aufzubauen.“
Wie funktioniert die Corona-Impfung?
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„Das Immunsystem wird durch die Impfung angeregt, eine schützende Immunantwort auszubauen“, erklärt der Virologe. „Leider schützt kein Vakzin zu 100 Prozent, genauso wie kein Medikament in absolut allen Fällen wirkt.“ Studien würden aber zeigen, dass geimpfte Menschen weniger Viruslast hätten und das Virus seltener weitergeben. Zudem seien Todesfälle „sehr viel unwahrscheinlicher“. Die Vakzine hätten deshalb mehrere Vorteile: „Sie senken die grundsätzliche Infektionsgefahr, das Risiko schwerer Erkrankungen und die Ausbreitungsgeschwindigkeit in der Bevölkerung.“
Wie viele Bürger sind trotz Impfung schwer erkrankt?
Im Kreis Wesel, Kreis Viersen, Kreis Kleve und Essen gab es nach Angaben der Verwaltungen keinen einzigen Todesfall unter vollständig Geimpften. In Duisburg sei eine ältere geimpfte Person nicht an, aber mit Corona verstorben. 45 von 113 Betroffenen Duisburgern hätten Symptome gezeigt, jedoch ohne schweren Verlauf. Keine einzige Person musste im Krankenhaus behandelt werden. Ähnlich ist die Situation in Essen, dem Kreis Wesel und dem Kreis Viersen: Die große Mehrheit aller doppelt geimpften Infizierten hatte keine oder nur leichte Symptome. Lediglich eine Person habe im Kreis Viersen wegen Atemnot im Krankenhaus behandelt werden müssen.
Wie lange schützt eine Impfung?
Noch gebe es keine verlässlichen Daten, sagt Trilling: „Bei einer natürlichen Infektion zeigen Studien, dass Betroffene bis zu ein Jahr lang eine gute Immunantwort zeigen.“ Dieser Zeitrahmen dürfe bei einer vollständigen Impfung ähnlich sein – insbesondere, da die Immunantwort bei Impfungen in der Regel höher ausfalle als bei einer natürlichen Infektion. „Es könnte in der Zukunft passieren, dass SARS-CoV-2 sich durch Mutation dergestalt verändert, dass es teilweise an den Schutzimpfungen vorbeikommt.“ Sollte sich das Virus massiv verändern, bräuchte es auch angepasste Impfstoffe.
Welcher Impfstoff schützt am besten vor der Delta-Variante?
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Der Anteil der Delta-Variante an den Neuinfektionen nimmt in NRW immer weiter zu. Im Kreis Wesel gingen in der vergangenen Woche 73 Prozent der Corona-Fälle auf die indische Mutation zurück. Laut Angaben des israelischen Gesundheitsamtes zeige der Biontech-Impfstoff – womöglich auch wegen der sich rasant ausbreitenden Delta-Variante – eine sinkende Wirksamkeit. Die Debatte, welches Vakzin nun am besten schützt, sei aus Sicht von Trilling aber „relativ sinnlos, da die Unterschiede so gering sind und nicht in parallelen Studien erhoben wurden“.
Die Corona-Impfstoffe hätten sehr hohe Schutzraten. „Selbst ein Vakzin, das nur zu 50 Prozent schützt, hat einen riesigen Nutzen für die Gesellschaft“, so der Virologe. „Bei den Corona-Schutzraten liegen wir bei etwa 90 Prozent. Das ist phänomenal, damit hätte vorab kaum jemand gerechnet.“ Viel wichtiger als die Wahl des Impfstoffes sei, dass sich alle Bürger vollständig impfen lassen. „Darüber sollten wir viel mehr diskutieren, weil die Immunantworten nach einer zweiten Impfung deutlich besser ausfallen.“