Krefeld. In Krefeld steht eine einzigartige Werkgruppe von Joseph Beuys. Handelt es sich um „Müll im Museum“ oder doch um „Wagemutige Kunstpolitik“?
Der orangefarbene Gummischlauch schlängelt sich als kleine Stolperfalle am Boden entlang, endet schließlich hinter dünnem Maschendrahtzaun und mitten in „Barraque D’Dull Odde“. Das Raumensemble im Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld ist das einzige in Nordrhein-Westfalen, das in der von Joseph Beuys gestalteten Form noch erhalten geblieben ist. Etwas ganz Besonderes also, das im Rahmen der aktuellen Ausstellung „Kunst = Mensch“ neu in den Fokus gerückt wird.
„Seit 1984 wurde hier nichts verändert“, betont Kuratorin Dr. Magdalena Holzhey. Von etwas Staubwischen und kleine Restaurationsarbeiten mal abgesehen. Aber selbst die von Beuys angestrichenen Fenster sehen noch genauso aus wie zu seinen Lebzeiten, sorgen so bis heute für eine ganz eigene Kelleratmosphäre. Ganz hinten, wo der Schlauch zusammengerollt liegt, stehen an der Wand neben einem kleinen Schreibtisch zwei hohe Regale mit allerlei Krimskrams. Fett und Filz sind natürlich dabei, die Lieblingsmaterialien des Künstlers aus Krefeld. Der übrigens immer lieber Kleve als seinen Geburtsort angab, sein Leben auf diese Weise einmal mehr in ein eigenes Kunstwerk verwandelte.
Beuys Atelier im Museum
Mit Krefeld selbst hatte Beuys aber keine Probleme, das steht fest. „Er war richtig oft hier“, sagt Holzhey. Hier, in der Stadt Krefeld. Aber vor allem auch in den Kunstmuseen Krefeld, deren Direktor Paul Wember ihn schon früh förderte. Finanziell unterstützt durch das Ehepaar Lauffs konnte der Direktor ab 1967 die große Werkgruppe „Barraque D’Dull Odde“ Stück für Stück zusammentragen. Beuys selbst wählte die Werke aus seinem Atelier und installierte sie an ihrem heutigen Ort, erschuf auf diese Weise ein Atelierbild im Museum. „So erlebt man den Künstler als Kurator“, so Holzhey. Bis 1984 kamen noch weitere Arbeiten hinzu, unter anderem seine frühe Arbeit „Brunnen“ mit dem orangefarbenen Gummischlauch.
Doch weil sich Beuys Idee hinter seinen vollgestellten Regalen nicht sofort jedem erschloss, sollte ein Diskussionsabend am 15. Dezember 1971 zumindest etwas Klarheit bringen. Wie dieser jedoch „aus dem Ruder lief“, so Holzhey, kann heute jeder selbst in der Ausstellung hautnah miterleben. Dazu einfach aufs Sofa setzen und den dreistündigen Tonbandaufnahmen lauschen. Es knistert, es rauscht. Doch die Grundstimmung lässt sich schnell heraushören. „Die Leute wollten die Regale erklärt bekommen“, erzählt die Kuratorin. Statt ihnen aber diesen Gefallen zu tun, philosophierte Beuys viel lieber über den von ihm entwickelten „Erweiterten Kunstbegriff“ und seine Idee der „Sozialen Plastik“.
Visionärer Kern von Beuys Kunst
Um seine abstrakten Gedanken zu veranschaulichen, die Menschen mitzureißen, fertigte Beuys während seines Vortrags noch schnell ein paar Skizzen an. Seine dabei immer wiederkehrende Formel „Kunst = Mensch = Kreativität = Freiheit“ lässt sich auf einem der ebenfalls ausgestellten Blätter gerade so noch entziffern. Eben jene Formel ist es auch, die seiner Kunst eine immer währende Aktualität verleiht. „Darin steckt ein ganz großer visionärer Kern“, betont Holzhey. „Jeder Mensch kann sich verwirklichen und dadurch frei sein.“ Nicht nur durch das Malen eines Bildes, sondern auch durch das Pflanzen eines Baumes. Oder durch das Schälen einer Kartoffel.
„Beuys hatte auch Humor“, so Holzhey. Und so erschallte am Diskussionsabend immer wieder lautes Gelächter, das durch die Aufnahmen heute erneut in den Ausstellungsräumen erklingt. Eine Fotoserie von Theo Windges zeigt dazu passend einen herzlich lachenden Museumsdirektor, verleiht den oft ernsten Themen plötzlich eine neue Leichtigkeit. Die Resonanz auf den Diskussionsabend war allerdings durchmischt. „Wagemutige Kunstpolitik in der Provinz“ heißt es in einem Zeitungsbericht, „Blubber von Beuys“ in einem anderen. Und die NRZ? Die war natürlich auch vor Ort, ihr Urteil dagegen eher ernüchternd: „Müll fürs Museum“.
>>> „Beuys & Bike“ in Krefeld
Herzlichen Glückwunsch, Joseph Beuys! In diesem Jahr wäre der Künstler vom Niederrhein 100 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass hat NRW Tourismus die Radtour „Beuys & Bike“ konzipiert, die verschiedene Stationen seines Lebens auf einer Strecke von 300 Kilometern miteinander verbindet.
Wer in Krefeld Halt macht, sollte natürlich bei den Kunstmuseen Krefeld vorbeischauen. Die aktuelle Ausstellung „Kunst = Mensch“ ist noch bis zum 1. August, die große Ausstellung „Beuys & Duchamp. Künstler der Zukunft“ ab dem 8. Oktober zu sehen. Gut zehn Gehminuten entfernt liegt der Alexanderplatz, im Haus Nummer 5 hat Beuys die ersten drei Monate seines Lebens verbracht.
Einen Besuch wert sind in Krefeld auch der Botanische Garten und die Burg Linn, in der bis zum 14. November die Ausstellung „Beuys, don’t cry“ gezeigt wird. Für ein kleines Päusken empfiehlt die Kuratorin einen Stopp im Stadtwaldhaus, „dem schönsten Biergarten NRWs“.
Alle bereits erschienen Teile unserer Serie „Beuys entdecken“ finden Sie hier.