Am Niederrhein. Heute ist sein Todestag, da darf an ihn erinnert werden. Der Maler Blinky Palermo starb viel zu früh und hinterließ ein Werk voller Rätsel.
Man hätte gerne sein Gesicht gesehen, als der Kulturjournalist Peter M. Bode im Juni 1966 die Galerie Friedrich & Dahlem in München musterte. Was er dort sah, schrieb er in der Süddeutschen Zeitung nieder. Eine vernichtend klingende Kritik – die heute wie ein peinliches Fehlurteil gelesen werden kann.
„Die pure und spannungslose Häufung von kleinen blauen Karos, Strichen, Diagonalen und nichtssagenden monochromen Flächen sind das Langweiligste, was diese Galerie seit ihrem Bestehen bisher ausgestellt hat“, ätzte er. Und sein 27-Zeilen-Verriss mit der Überschrift „Rückwärtsgewandte Moderne“ gipfelte in der Meinung: „Der dümmste Gag von Palermo ist es, Latten mit Leinwand zu überziehen, um sie dann mit Resedagrün und Lilagrell zu dekorieren. Diese läppisch bemalten Hölzchen, wie auch die unsensibel wirkenden, aus Seide zusammengenähten Rhombenbilder, die nicht mehr verraten, als daß sie eben aus Seide bestehen, beschließen das törichte Werk eines Anfängers.“
Sein viel zu früher Tod im Alter von 33 Jahren
Wumms! Treffer – versenkt. Andere Kunststudenten hätten sich nach einer solchen Schmähung in den Räumen der Akademie in Düsseldorf verbarrikadiert oder wären gleich Taxifahrer geworden: nicht aber der Meisterschüler von Joseph Beuys. Er machte einfach und offenbar unbeirrt so weiter – bis er am 17. Februar des Jahres 1977 doch überraschend und viel zu früh auf der Malediven-Insel Kurumba verstarb; woran genau sei unklar, heißt es, Herzversagen, ein Autounfall oder „unter ungeklärten Umständen“ wurde überliefert.
Es war der Beginn einer wundersamen Legendenbildung, ja einer unvergleichlichen Mythologisierung eines Mannes, der in der Kunstszene einen außergewöhnlichen und unvergleichlichen Rang eingenommen hat – obwohl oder gerade weil der Maler und Objektkünstler sowie dessen minimalistischen Werke immer noch voller Rätsel stecken.
Nebenan: Ulrich Rückriem, natürlich kein Zufall
Blinky Palermo also. Um sich ihm anzunähern, ist der Besuch des Zentralfriedhofes in Münster angeraten. Dort liegt die Asche seines verbrannten Leichnams in einer Urne im Boden. Mittlerweile in einem Ehrengrab, den namentlichen Erinnerungsstein lieferte Ulrich Rückriem. Ein Freund, wie auch Gerhard Richter, Sigmar Polke und Imi Knoebel, der sich mit ihm Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre ein Atelier in Mönchengladbach teilte.
Bei der Wahl des Materials und seiner Gestaltung darf dem Bildhauer mit Ecken und Kanten Absicht unterstellt werden. Auf der 1,80 Meter langen, naturbelassen Platte schimmert das sich wandelnde Tageslicht in immer neuen Farbnuancen und bietet einen geduldigen Raum für vielfältige Interpretationen.
Unbedingt zu empfehlen ist aber auch ein Besuch des Museums DKM in Duisburg, zwischen Hauptbahnhof und Kant-Park gelegen. Eine Adresse mit bundesweiter Beachtung, wegen ihrer eigenwilligen Sammlung, die die Kunstsammler Dirk Krämer und Klaus Maas aus fast allen Teilen dieser Erde zusammengetragen haben.
Handwerk und Kopfarbeit aus 5.000 Jahren Menschheitsgeschichte, dargestellt unter dem Motto „Linien stiller Schönheit“. Ein Leitgedanke, der zwingend in den Palermo-Raum führt; übrigens direkt neben dem Rückriem-Raum.
Teil der Dauerausstellung im Museum DKM in Duisburg
Hier ist ein Teil der gesamten Grafik von Blinky Palermo dauerausgestellt, die zum Inventar des Hauses gehört. Mühselig zwischen 1988 und 2000 zusammengekauft, mit Hilfe zweier befreundeter Galeristen. Sicher ein kostspieliges Vergnügen, obwohl es sich bloß um serielle Farbsiebdrucke handelt, jedoch mit einer Gesamtauflage von je allerhöchstens 30 Stück. Aber eben keine originalen Unikate, die längst in Preissphären versteigert werden, die selbst ein Unternehmer wie Klaus Maas als eine „finanziell unerreichbare Höhe“ empfindet.
Persönlich lernte er Blinky Palermo übrigens nie kennen, „leider“. Zu einer ersten bildlichen Begegnung kam es 1985, danach dauerte es ein weiteres Weilchen, bis er einen Zugang zu dessen Kunst fand: radikal auf Farben und Formen reduziert, üppig Platz für Weißraum.
Schuld war Prof. Joseph Beuys, angeblich
So etwas verstehe, wer will – der wortkarge Blinky Palermo jedenfalls machte es einem Betrachter nie leicht. Einer der wenigen Sätze, die er sich öffentlich abgerungen haben soll, lautet zitiert: „Ich bevorzuge eine ziemlich karge, simple Formensprache.“ Immerhin mehr als Johannes Cladders sagte, für den ansonsten wortreichen Leiter des Museum Abteiberg verschloss sich ein verbales „Eindringen, Begleiten oder Übersetzen“ des Werkes.
So viel Geheimniskrämerei fördert selbstredend die Überhöhung eines Typens, von dem auffallend viele Fotos mit Zigarette im Mund oder in der Hand kursieren, über den es in beinahe jedem Artikel heißt, er sei der „James Dean der deutschen Kunstszene“. Dazu romantisierte sein Lehrer Prof. Beuys kräftig, als er aus den Arbeiten seines Schülers die „Verzweiflung einer Kornblume“ sprechen sah.
Solchem Verklärungskitsch stehen die nie fehlenden Sauf-, Drogen- und Frauengeschichten des Künstlers gegenüber, dessen Leben abenteuerlich begann. Geboren wurde er 1943 als Peter Stolle. Als der vermeintliche Vater seinen Beitrag zu ihm erfolgreich angefochten hatte, hieß er Peter Schwarze. Den Nachnamen der Mutter waren er und sein Zwillingsbruder Michael 27 Tage nach der Geburt quitt, als sie adoptiert wurden – und er fortan Peter Heisterkamp war.
Ein Maler wie ein Mafioso?
Familiäre Wirre, die irgendwie irre wurde, als er den Spitznamen Blinky Palermo verpasst bekam. Angeblich nachdem Jupp Beuys ihm „Heisterkamp“ vermaledeit hatte, angeblich von Mitstudent Anatol Herzfeld, angeblich weil er in seinem Beatnik-Outfit mit Lederjacke und Sonnenbrille einem gleichnamigen Boxmanager und Mafioso ähnlich sah.
Oberflächlichkeiten – die ganz im Gegensatz zu seinen Malereien stehen. Bilder, „sprühend, energiegeladen und mit unmittelbarer Wirkung“, schwärmt der Kunsthistoriker Erich Franz, der als einer besten Kenner von Blinky Palermo gilt.
Nein, diesen Stolle-Schwarze-Heisterkamp-Palermo muss man nicht erklären können – vielleicht reicht, für den Anfang: ein Gefühl.