Duisburg. Nach 68 Verhandlungstagen sieht es so aus, als würde das Loveparade-Verfahren eingestellt. Nebenkläger wollen das verhindern.

Jahrelang wurde um den Prozess gerungen. Jetzt zeichnet sich ab, dass die juristische Aufarbeitung der Duisburger Loveparade-Katastrophe mit zehn Angeklagten vorzeitig und ohne Urteil zu Ende geht.

„Man kann nicht ausschließen, dass das Verfahren mit Auflagen eingestellt wird“, sagte Julius Reiter gestern der WAZ. Der Düsseldorfer Rechtsanwalt, einer der Vorkämpfer für einen Prozess, Nebenkläger und Vertreter von rund 100 Opfern, reagierte damit auf die Einladung zu einem Rechtsgespräch Anfang 2019, die der Vorsitzende Richter Mario Plein an die Prozess-Beteiligten versandt hat.

Nur eine Bilanz?

„Es soll Bilanz zum bisherigen Stand des Verfahrens gezogen und erörtert werden, wie es weitergehen kann“, hatte Matthias Breidenstein, Sprecher des Duisburger Landgerichts, erklärt. Sollten sich dabei Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung einigen, könnte das Verfahren eingestellt werden. Die Anwälte der Nebenkläger sind zwar dabei, haben aber keinen direkten Einfluss auf die Entscheidung.

Elf von ihnen haben daher einen Brandbrief an NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) unterzeichnet, in dem sie ihre Befürchtung äußern, dass die Staatsanwaltschaft einlenken werde. Initiator Franz Xaver Paul, ein Anwalt aus München, argwöhnt im Schreiben, dass „Kostenersparnis, Entspannung der Personalsituation in der Justiz, drohende Verjährung“ Motive für eine Einstellung sein könnten. Das „wäre in der traurigen und skandalreichen Geschichte der Loveparade ein ausgewachsener Justizskandal als Schlusspunkt“. Biesenbach solle den Staatsanwälten „per ministerieller Weisung ... untersagen, einer Einstellung des Verfahrens zuzustimmen“. Damit könne er „schweren politischen Schaden vom Lande Nordrhein-Westfalen abwenden“.

Es geht nicht um Strafe um jeden Preis

Julius Reiter: „Ich kann nicht von einem Minister etwas verlangen, was ich selbst als Justizminister nicht tun würde
Julius Reiter: „Ich kann nicht von einem Minister etwas verlangen, was ich selbst als Justizminister nicht tun würde © Lukas Schulze

Paul räumt im Gespräch mit der WAZ ein, dass der Schritt „ungewöhnlich“ sei. Aber er wolle, dass die Aufklärung weitergehe und es ein Urteil gebe, „das für jeden nachprüfbar ist“. Es gehe ihm nicht darum, dass „um jeden Preis jemand bestraft wird.“ Aber komplexe Verfahren endeten zu oft mit Einstellungen gegen Geldbußen. So sei es beim Flughafenbrand oder der Bahnkatastrophe von Eschede gewesen. Paul: „Einen solchen Prozess zu einem Urteil zu bringen, gehört zu den Kernaufgaben der Gerichte. Wenn sie das nicht schaffen, schaffen sie sich selbst ab.“

Reiter hat den Brief nicht mit unterzeichnet. „Ich kann nicht von einem Minister etwas verlangen, was ich selbst als Justizminister nicht tun würde, nämlich mich in ein Verfahren einmischen.“ Er betont, dass er sich trotzdem nicht wünsche, dass es eingestellt werde. Auch ihm sei die Strafverfolgung nicht das Wichtigste. „An erster Stelle steht für mich die Aufklärung, an zweiter die Entschädigung der Opfer.“ Trotz erschwerter Bedingungen sei die Eröffnung des Prozesses zwingend gewesen, „weil der Rechtsstaat nicht schon vorher kapitulieren darf“.

Reiter findet, dass die Aufklärung gut vorankomme, der Verfahrensverlauf sei „den Umständen entsprechend gut“. „Gerade deshalb tut es ja besonders weh, wenn jetzt eingestellt würde“, sagt Paul.

Reiter indes gehörte schon vor Prozessbeginn zu den Mahnern, die der Staatsanwalt vorhielten, ihre Anklage nur auf Planung und Genehmigung der Loveparade zu stützen und die Polizei außen vor zu lassen. Sowohl das zweite Gutachten als auch die Aussagen von Polizisten im Prozess schrieben der Polizei deutlich mehr Verantwortung zu. „Damit“, so Reiter, „geht der Fall wieder in den politischen Raum.“ Es sei verheerend gewesen, dass sich der damalige NRW-Innenminister Ralf Jäger sofort vor seine Beamten gestellt habe.

Individuelle Schuld nicht nachzuweisen?

Im Umkehrschluss verstehen Prozessbeobachter, warum das Verfahren vorzeitig beendet werden könnte: Nach 68 Verhandlungstagen wächst offenbar die Einsicht, die sich mit der frühen Prognose des Kölner Strafverteidigers Björn Gercke deckt, der einen Mitarbeiter des Veranstalters vertritt: „Man wird keinem der zehn Angeklagten eine individuelle Schuld nachweisen können.“ Sieht das die Staatsanwaltschaft genauso, wäre im Frühjahr wohl Schluss. Für Franz Xaver Paul wäre das ein schwerer Fehler. Nicht nur mit Blick auf die Opfer, sondern auch im Sinne der Angeklagten: „Wenn sie unschuldig sind, haben sie das Recht auf einen ordentlichen Freispruch.“