Ruhrgebiet. . So funktioniert der Fußball auf den Bolzplätzen im Ruhrgebiet – eigentlich. Derzeit wird auch dort viel über Özil und Rassismus diskutiert.
Alaz Yildiz hat das Leben so gelernt: „Du bist, wer du bist. Woher du kommst, spielt keine Rolle.“ So war das in seinem Kindergarten in Bochum, so ist der Sohn türkischer Eltern aufgewachsen. Dass heute in Deutschland wieder nach der Herkunft gefragt wird: „Ein rückständiger Gedanke“ für den 30-Jährigen. Alaz Yildiz spielt auch Fußball, wie Mesut Özil, Kreisliga B, da muss er selbst lachen – es gab für ihn die Frage nie, in welchem Nationalteam er spielen würde. Hätte es sie gegeben: „Für die deutsche, die ist erfolgreicher.“ So, glaubt Yildiz, sei es auch Özil gegangen, damals.
Ümit Ertural, Ex-Profi aus Oberhausen, hätte anders entschieden, weil „Türken in der deutschen Nationalmannschaft einen schwereren Stand haben“ als Polen. Mesut Özil wählte Deutschland, und dass die Situation schwierig ist für ihn, kann Alaz Yildiz verstehen: „2014 war er der Vorzeige-Integrierte, jetzt auf einmal nicht mehr.“
Fußballmuseum präsentiert Trikot als positives Beispiel
Als positives Beispiel präsentiert ja auch das Deutsche Fußballmuseum in Dortmund den Spieler: Özils Trikot steht in der Ausstellung für gelungene Integration. Seit sein Foto mit Erdogan entstand, wird das unter Besuchern lebhaft debattiert. „Die einen hätten sich ein anderes Signal von ihm gewünscht, die anderen haben Verständnis gezeigt, dass sich Spieler mit Migrationshintergrund immer zwischen zwei Welten bewegen“, sagt Museumsdirektor Manuel Neukirchner. Der sich Diskussionen wünscht: Das Museum sei „der Kulturort des Fußballs, an dem Menschen genau diesen Diskurs führen können, dürfen und sollen.“
Drumherum das Ruhrgebiet, es diskutiert schon intensiv. In Bottrop sagt der Feuerwehrmann Nuh Arslan, der Fall Özil mache deutlich, „wie wir mit zweierlei Maß messen. Dass sich Lothar Matthäus mit Putin ablichten lässt, danach kräht kein Hahn.“ Und: „Ich glaube Özil, wenn er sagt, dass sein Besuch bei Erdogan keinen politischen Hintergrund hatte. Das war ein Akt der Höflichkeit.“ Dagegen findet es Can Ucar, Trainer bei Dostlukspor Bottrop, „falsch zu sagen, ich würde das wieder machen. Dieses Foto war verkehrt.“ Ucar sagt aber auch: „Özil fühlt sich diskriminiert. Das ist ein Gefühl. Darüber lässt sich nicht streiten.“ Der Trainer glaubt, dass es künftig mehr Probleme mit Rassismus geben werde. „Das macht mir Angst.“
Dabei ist, dass Fußballer mit deutschen und türkischen Wurzeln zusammen kicken, im Revier eigentlich normal. Hier hat ja auch die Erfolgsgeschichte des Spielers Mesut Özil angefangen, der einst bei Rot-Weiss Essen spielte. „Bei uns funktioniert Integration“, sagt RWE-Vorsitzender Marcus Uhlig knapp. Vor einem Jahr erst sind U19 und U17 in die Junioren-Bundesliga zurückgekehrt; die Namen der Jungs verraten, dass jeweils die Hälfte des Teams einen Migrationshintergrund hat.
„Integration ist ein schönes Wort“, sagt Enrico Schleinitz, Leiter des Nachwuchsleistungszentrums, „aber allein wenn man es benutzen muss, macht man etwas falsch. Wenn wir Spieler zum Probetraining einladen, spielt es keine Rolle, woher er kommt oder welche Hautfarbe er hat.“
Auch an der Gesamtschule Berger Feld in Gelsenkirchen war das nie wichtig. Über seine alte Schule hatte Özil ebenfalls geklagt, die wehrte sich. Der frühere Leiter Georg Altenkamp (70), der die Geschwister Özil noch erlebt hat, ist „wütend wegen des Schadens, der entstanden ist“, auch für die Schule. „Fast schon tragisch, wie Özils Leistungen jetzt zerpflückt werden.“ Man müsse, findet Altenkamp, „jemandem wie ihm, der bekannt ist, doch auch mal zuhören“.
„Als Sündenbock gerade gut"
Schüler mit Migrationshintergrund seien „auch Bürger unserer Stadt“. Das bestätigt Gelsenkirchens Sportdezernentin Annette Berg: „Mesut Özil ist auf Kohle geboren. Er ist und bleibt ein Kind der Region und Stadt Gelsenkirchen, ist hier jederzeit willkommen.“
Auf dem Bolzplatz im Stadtteil Bulmke, wo die Karriere des kleinen Mesut einst begann, kickt am Montag der 13-jährige Mohamed. Karl-Heinz Hassmann (73), der hier schon Özil Fußball spielen sah, steht am Gitter und meint, dass das Erdogan-Foto allein den Spieler etwas angeht. „Die suchen jetzt einfach einen Sündenbock, da passt das mit Özil gerade gut.“