Essen. . “Erzwingungsstreiks“ mitten im Ferienverkehr: Ab 15 Uhr am Freitag ruft die Lokführergewerkschaft GDL bei der Deutschen Bahn zum bundesweiten Streik auf. Bis Montagfrüh sollen die Lokführer ihre Arbeit niederlegen. Die Deutsche Bahn hat der GDL am Freitag ein neues Tarifangebot vorgelegt.

Die Lokführergewerkschaft GDL hat ihre Mitglieder im Tarifstreit mit der Bahn zu neuen bundesweiten Streiks aufgerufen. Im Personenverkehr sollen die Lokführer am Samstag ab 2 Uhr die Arbeit niederlegen, im Güterverkehr bereits am Freitag ab 15 Uhr, teilte die GDL am Freitag mit. Ende der Streiks ist Montagmorgen um 4 Uhr. Kurz vor Beginn des Streiks hat die Deutsche Bahn der Gewerkschaft GDL ein neues Tarifangebot vorgelegt.

Das Angebot enthält nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa eine dreistufige Einkommenserhöhung um insgesamt fünf Prozent innerhalb von 19 Monaten. Das Angebot wird demnach ausschließlich den Lokführern unterbreitet. Die Bahn wiederholte zudem ihre Bereitschaft, mit der GDL auch über andere Berufsgruppen sprechen zu wollen.

GDL hat sich noch nicht zu dem Angebot der Bahn geäußert

Die Lokführer-Gewerkschaft GDL lehnte das Verhandlungsangebot am Abend ab und erklärte, an ihrem Streik bis zum Montagmorgen festzuhalten. Die DB verweigere nach wie vor inhaltliche Verhandlungen für das gesamte Zugpersonal in der GDL, teilte die Gewerkschaft zur Begründung mit.

Die GDL dringt darauf, dass die Bahn mit ihr auch für Zugbegleiter, Bistro-Mitarbeiter und Rangierführer Tarifverträge abschließt. Der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky sagte in Dresden: "Das Bahn-Management hat einen einzigen Punkt zu entscheiden: Tarifpluralität oder Tarifeinheit. Alles andere ist Schauspiel."

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Das Angebot der Bahn vom Freitag enthält auch die Einstellung von 200 zusätzlichen Lokführern im Jahr 2015. Außerdem solle die Schichtplanung für die Lokführer verbessert werden. Die Bahn forderte die GDL auf, den für das Wochenende angekündigten Streik abzusagen und wieder in die Verhandlungen einzusteigen.

Neun Bundesländer werden Ferien-Verkehr haben

In sieben Bundesländern beginnen am Wochenende in den Schulen die Herbstferien. In Nordrhein-Westfalen und Thüringen enden sie. Wie sehr die Fronten zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber verhärtet sind, zeigt schon die Wortwahl der GDL: Explizit ist jetzt die Rede von "Erzwingungsstreiks".

Die Bahn wurde von der erneuten Streikankündigung am Morgen "kalt erwischt", hieß es aus der Pressestelle. Auch wenn die GDL zunächst nur den Güterverkehr bestreiken will und den Personenverkehr erst in der Nacht, müssen sich Bahnkunden bereits am Freitagnachmittag auf Verspätungen und Ausfälle einstellen. Grund ist die Notfallplanung der Bahn: Schon ab dem Nachmittag nimmt sie "schrittweise" Züge aus dem Fahrplan.

Erst informieren, dann zum Bahnhof

"Hintergrund ist das Ziel, während des Streiks mindestens ein Drittel des Angebotes aufrecht zu erhalten und nach Streikende am Montagmorgen die Verfügbarkeit der Züge abzusichern", teilte die Bahn am Freitagmittag mit. Heißt: Damit Züge nicht während des Streiks die Strecke blockieren oder nach dem Streik nicht am richtigen Ort sind, werden sie schon vorher gezielt positioniert.

Für Bahnkunden heißt das also ab sofort: Erst informieren, dann zum Bahnhof.

Sonderzüge zu Bundesliga-Spielen wegen Streik gestrichen 

Nicht nur Urlauber und Wochenendreisende werden vom Streik der Lokführer getroffen, sondern wohl auch Tausende Fußballfans: "Vom GDL-Streik betroffen sind auch alle Sonderverkehre zu Fußballspielen", betont die Bahn in ihrer Mitteilung.

Man könne nicht sicherstellen, dass die Fußballfans zu und von den Stadien an- und abreisen können. Konkret heißt das: Alle Sonderzüge werden gestrichen. "Davon ist auszugehen", bestätigte ein Bahnsprecher auf Nachfrage.

Zusatzzüge waren unter anderem für die Partien zwischen dem 1. FC Köln und dem BVB sowie Hannover 96 und Borussia Mönchengladbach am Samstag eingeplant. Zum Heimspiel der Schalker gegen Hertha BSC Berlin sollte am Samstag gar ein separater Fanzug eingesetzt werden.

Deutsche Bahn wirft GDL "Amoklauf" vor

Aus Sicht der Deutschen Bahn hat die GDL jedes Maß verloren. "Die GDL läuft Amok", hieß es am Freitag in einer Erklärung der Bahn in Berlin. Ohne Not würden Millionen von Menschen die Ferien verdorben. Es werde immer deutlicher, dass es nicht um die Interessen der Lokomotivführer gehe, "sondern um Allmachtsfantasien eines Funktionärs". Die Bahn bezog sich damit auf den GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky.

Weselsky sieht das anders: Er forderte die Deutsche Bahn auf, "endlich ihre Blockade auf dem Rücken ihrer Kunden zu beenden und mit der GDL zügig über die vorliegenden Tarifverträge für das Zugpersonal zu verhandeln". Er fügte hinzu: "Der Arbeitgeber weiß, dass wir bereit sind, bei den inhaltlichen Verhandlungen auch Zugeständnisse zu machen." Eine Tarifeinheit sei mit der GDL aber nicht machbar.

NRW-Minister Schneider: "Diskreditierung des Streikrechts" 

Auch NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider richtete scharfe Angriffe gegen die GDL und ihren Vorsitzenden. „Herr Weselsky streikt wieder“, sagte er, „das ist aus meiner Sicht eine Diskreditierung des Streikrechts.“ Damit arbeite die GDL „denen in die Hände, denen es schon seit langem darauf ankommt, das Streikrecht in Deutschland zu reglementieren, was ich ablehne.“

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Was „dieser Berufsverband“ mache, sei mit der Tradition des Tarifvertragssystems nicht zu vereinbaren. Schneider kritisierte, dass bundesweit gestreikt werde, obwohl es bisher noch zu gar keinen Verhandlungen gekommen sei.

Kritik vom Fahrgastverband "Pro Bahn"

Der Fahrgastverband "Pro Bahn" warf der GDL Kompromisslosigkeit vor. Die Gewerkschaft verspiele mit ihren Aktionen den Rückhalt in der Bevölkerung und bei den Fahrgästen, sagte "Pro Bahn"-Bundessprecher Gerd Aschoff am Freitag. "Es werden viele Familien auf ihrer Bahnfahrt in die Herbstferien vom Streik betroffen sein."

Aschoff forderte die Lokführer auf, an den Verhandlungstisch zurückzukehren und ohne Vorbedingungen auch über Art und Umfang einer Tarifvielfalt zu verhandeln.

Zweiter Streik in dieser Woche - Streit um Tarifeinheit 

Erst am Donnerstagmorgen war der jüngste 14-stündige Ausstand zu Ende gegangen. Eine Annäherung zwischen Gewerkschaft und Bahn ist in dem festgefahrenen Tarifkonflikt nicht in Sicht. Die GDL verlangt fünf Prozent mehr Geld und zwei Stunden weniger Wochenarbeitszeit. Überstunden sollen begrenzt werden. Die Gewerkschaft drohte, weitere Streiks seien programmiert, wenn die Bahn sich nicht bewege.

Die Gewerkschaft verlangt fünf Prozent mehr Geld und zwei Stunden weniger Wochenarbeitszeit. Vor allem aber will sie für das übrige Zugpersonal verhandeln. Die Bahn will hingegen verhindern, dass die GDL auch die Rechte der Zugbegleiter, Bordgastronomen und Disponenten vertritt.

Nahles will Gesetzentwurf zur Tarifeinheit vorlegen

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat unterdessen angekündigt, den geplanten Gesetzentwurf zur Tarifeinheit Anfang November vorzulegen. Das Justiz- und das Innenministerium würden vorher noch verfassungsrechtliche Fragen prüfen, sagte sie am Freitag im RBB-Inforadio.

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Bei der Tarifeinheit geht es darum, in Großunternehmen mit mehreren Gewerkschaften ein annähernd einheitliches System von Lohn- und Arbeitsbedingungen sicherzustellen, damit kleine schlagkräftige Spartengewerkschaften ihre Partikularinteressen nicht auf Kosten anderer Beschäftigter durchsetzen können. Dazu will die Koalition kleine Gewerkschaften zur Kooperation mit den Hauptgewerkschaften drängen, ohne ihr Streikrecht grundsätzlich zu beschneiden. Derzeit ist das Thema etwa bei den Streiks der Lokführer und Piloten aktuell.

Nahles plant ein sogenanntes betriebsbezogenes Mehrheitsprinzip. "Im Konfliktfall - wie zum Beispiel aktuell bei der Deutschen Bahn - machen wir als Staat einen Lösungsvorschlag und werden dabei das Mehrheitsprinzip stärken. Das wird der Gegenstand des Gesetzes sein", erklärte sie, wollte darauf aber nicht näher eingehen. Es sei eine Gratwanderung, dieses Mehrheitsprinzip gelten zu lassen und zu entscheiden, "welche Gewerkschaft hat die meisten Mitglieder in einem Betrieb", und auf der anderen Seite "dennoch das Streikrecht auch der kleinen Gewerkschaften zu wahren", sagte sie.

Ein Unternehmen, ein Tarifvertrag

NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider sagte, er unterstütze die Position der Bundesregierung, die wieder dem Prinzip „Ein Unternehmen, ein Tarifvertrag“ zum Durchbruch verhelfen wolle.

Zur Forderung der Lokführergewerkschaft, auch für das übrige Zugpersonal zu verhandeln, sagte Schneider, da mische er sich nicht ein. Es sei aber „mit der Tarifautonomie nicht zu vereinbaren, wenn organisationspolitische Konflikte über einen Arbeitskampf zu Lasten Dritter, in diesem Falle der Bahn, ausgetragen werden.“ (dpa/we)