Essen. .

Auf die Anrede „Doktor“ für den Angeklagten wird Jörg Schmitt, Vorsitzender der XV. Essener Strafkammer, verzichten können, wenn ab Dienstag Thomas Middelhoff vor dem fünfköpfigen Gericht sitzt. „Das können die sich sparen“, hatte der gebürtige Düsseldorfer abgewehrt, wenn Mitarbeiter ihn mit akademischem Grad ansprachen. Ob der frühere Sunnyboy der deutschen Managerszene wirklich der bescheidene und hart arbeitende Chef war oder der raffgierige Mann, der den Essener Karstadt-Quelle-Konzern ausnahm, will das Essener Landgericht ab Dienstag an 32 Verhandlungstagen herausfinden.

Mit ihrer 322 Seiten starken Anklageschrift wegen Untreue in 49 Fällen versucht die Bochumer Staatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen zu beweisen, dass der 60 Jahre alte Manager zu Unrecht der Buchhaltung des Karstadt-Quelle-Nachfolgers Arcandor private Rechnungen eingereicht hatte mit der Anweisung, diese zu begleichen. Es wird vor allem um Charterflüge gehen, 48 dieser Fälle sind angeklagt. Flüge mit Maschinen der „Challenge Air“, die zu den Unternehmen von Middelhoffs privatem Vermögensverwalter Josef Esch zählt. Die Staatsanwaltschaft geht von einem Gesamtschaden von fast einer Million Euro au

Thomas Middelhoff, intern auch „Big T“ genannt, hatte in den 90er Jahren seine Karriere beim Gütersloher Medienriesen Bertelsmann gestartet. Früh hatte er auf Internet-Aktivitäten gesetzt, war Gast in vielen Talkshows. Als die Internet-Blase platzte, verließ er die Gütersloher 2002 nach vier Jahren als Vorstandsvorsitzender.

Im Frühsommer 2004 tauchte er beim angeschlagenen Karstadt-Quelle-Konzern in Essen wieder auf. Zunächst als Aufsichtsratsvorsitzender, dann als Chef des Vorstandes. „Ich habe das Unternehmen am Rand des Abgrunds übernommen“, erzählte er später oft. Als er im Februar 2009 ging, sprach er von einer erfolgreichen Rettung: „Rückblickend steht fest, dass das Ziel, den Konzern zu retten und auf eine tragfähige Basis zu stellen, erreicht wurde.“ Wenige Monate später war die Firma pleite.

Während Mitarbeiter um ihren Job zitterten, soll „Big T“ wie ein Feudalherr auf Kosten des Konzerns gelebt haben. Arcandor musste Charterflüge nach New York bezahlen, obwohl diese ihn laut Staatsanwaltschaft nur zu Terminen für seine lukrativen Nebenjobs, etwa bei der „New York Times“, brachten. Rund 90 000 Euro kostete so ein Trip. Oder eine aus Sicht der Ankläger private Einladung von Vorstandskollegen in seine Villa Aldea in St. Tropez, die Karstadt-Quelle ebenfalls zahlte.

Da ging es um Wein und Tischdeko für 2200 Euro, um Mittelmeertouren auf seiner 33-Meter-Yacht „Medici“ und andere schöne Dinge des Lebens. Als Untreue werten die Ankläger auch die Hubschrauberflüge zwischen Essen und Wohnort Bielefeld, schließlich müssten Arbeitnehmer selbst für An- und Abreise zur Arbeit zahlen. Um ihm diese Mühen abzunehmen, hatte der Konzern ihm zudem für mehrere tausend Euro im Monat eine Wohnung in Düsseldorf gemietet.

180 000 Euro für die Elogeauf den Förderer

Ein besonderes Geschmäckle offenbart der letzte Anklagepunkt: Middelhoff ließ eine Festschrift zum 70. Geburtstag seines Ziehvaters und ehemaligen Bertelsmann-Chefs Marc Wössner vom Essener Unternehmen finanzieren. Kostenpunkt: 180 000 Euro. Einzuordnen ist es als 212 Seiten starke Lobhudelei der „Wössner-Boys“ für ihren ehemaligen Chef. Von Karstadt-Quelle ist in dem Buch kein einziges Mal die Rede. Warum zahlte der Konzern dann dafür, fragen sich die Bochumer Ankläger.

Die Kammer für Handelsrecht am Landgericht Essen hat diese Frage in ihrem noch nicht rechtskräftigen Urteil vom 9. September 2013 bereits beantwortet. Die Festschrift sei „rein privat“ veranlasst gewesen, begründete Richter Michael Dickmeis damals die Entscheidung, dass Middelhoff das Geld zurückzahlen müsse. Insgesamt hatte die Handelskammer ihn verurteilt, 3,4 Millionen Euro zurückzuüberweisen.

Die Punkte vor der Handelskammer sind nur zum Teil gleich mit der ab Dienstag zu verhandelnden Anklage vor der XV. Strafkammer. Die St-Tropez-Reise mit seinen Vorstandskollegen hatten die Handelsrichter allerdings auch zu beurteilen und -- nach anderen Beweisregeln als ein Strafgericht – im Sinne Middelhoffs als dienstlich veranlasst eingestuft. Die Bochumer Staatsanwälte teilen diese Sicht wohl auch deshalb nicht, weil in Middelhoffs Einladung für den Kurztrip ausdrücklich „faulenzen“ als Programmpunkt aufgeführt wird. Die Ermittler können sich offenbar nicht vorstellen, dass es einen dienstlichen Grund fürs Faulenzen gibt.