Dormagen/Düsseldorf. . Aus für den liberalen Strafvollzug in Dormagen: Nach schweren Vorwürfen zieht Justizminister Kutschaty die Reißleine. Ein Sozialpädagoge soll drei Teilnehmer des Projekts an Weihnachten vor einem Düsseldorfer Bordell abgesetzt und sie aufgefordert haben, sich „einen schönen Abend“ zu machen.

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Bereit sein, an sich zu arbeiten, ein offener Vollzug, Gruppenleben, Pädagogikangebote, ein voll durchstrukturierter Tagesablauf: Mit großen Erwartungen war das Modellprojekt „Jugendstrafvollzug in freien Formen“ im Sommer 2012 gestartet. Für jugendliche Intensivtäter, die schon Teile ihrer Strafe verbüßt hatten, standen bis zu sieben Plätze im Dormagener Raphaelshaus zur Verfügung. Aus, vorbei. Justizminister Thomas Kutschaty hat die Reißleine gezogen. „Das Vertrauen in das Modellprojekt ist grundlegend erschüttert“, sagt der SPD-Politiker.

Der Anlass: Ende Januar waren in der Dormagener Einrichtung auf einer Teamsitzung mutmaßliche Verfehlungen eines einzelnen Mitarbeiters bekannt geworden. Der Sozialpädagoge kündigte daraufhin von selbst, kam damit aber nur seiner eigenen Entlassung zuvor. Er soll drei Teilnehmer des Projekts am zweiten Weihnachtstag vor dem Düsseldorfer Großbordell „Bahndamm“ abgesetzt und sie sinngemäß aufgefordert haben, sich „einen schönen Abend“ zu machen. Zudem soll der Mann am Silvestertag mit den jungen Straftätern nicht beim Feuerwerk in Zons, sondern auf Zechtour in Köln gewesen sein. Das Geld für die Ausflüge sollen die Eltern eines Teilnehmers gestiftet haben.

Das Raphaelshaus hat angekündigt, Strafanzeige gegen den ehemaligen Mitarbeiter zu stellen. Minister Kutschaty habe gleich nach Bekanntwerden der Vorwürfe reagiert und das Projekt gestoppt, heißt es in seinem Ministerium. Kritik von der Opposition ließ trotzdem nicht lange auf sich warten: Die FDP beklagt „erschreckende Kontrolldefizite beim Strafvollzug in freien Formen“. CDU-Rechtspolitiker Jens Kamieth forderte, dass der Minister „jeden Verdacht ausräumt, durch schlechtes Management den Misserfolg des Projekts herbeigeführt zu haben.“

Durch ein Fenster getürmt

Nach dem Aus für das Modellprojekt wurden vier Teilnehmer jetzt in die Haftanstalt Wuppertal-Ronsdorf verlegt. Ein fünfter konnte bei der Abholung in Dormagen durch ein Fenster türmen und ist seither auf der Flucht. Es handelt sich um einen 16-Jährigen, der wegen Eigentumsdelikten, Körperverletzung und Beleidigung eine Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten zu verbüßen hatte. Die Polizei vermutet den Jugendlichen im familiären Umfeld.

Das in der Fachwelt gelobte Modellprojekt war schon früher in die Schlagzeilen geraten; gleich nach dem Start vor anderthalb Jahren waren drei Jugendliche getürmt. „Anlaufschwierigkeiten“ habe es aber auch bei ähnlichen Projekten in anderen Bundesländern gegeben, sagt ein Sprecher des Justizministeriums. Kutschaty erwägt, ob das Projekt „Jugendstrafvollzug in freien Formen“ nochmal ausgeschrieben und in einer anderen Einrichtung fortgesetzt werden kann. Dazu will der Minister aber zunächst die Meinung der Fraktionen im Landtag hören.