Berlin. . In Deutschland sterben nach Schätzung von Experten fünfmal so viele Menschen durch Behandlungsfehler im Krankenhaus wie durch Unfälle im Straßenverkehr. Wie aus dem Krankenhaus-Report der AOK hervorgeht, kommt es derzeit zu rund 19000 Todesfällen pro Jahr. Insgesamt müsse jeder 100. Klinik-Patient mit Fehlbehandlungen rechnen.

In Deutschland sterben nach Schätzung von Experten fünfmal so viele Menschen durch Behandlungsfehler im Krankenhaus wie durch Unfälle im Straßenverkehr. Wie aus dem Krankenhaus-Report der AOK hervorgeht, kommt es derzeit zu rund 19000 Todesfällen pro Jahr. Insgesamt müsse jeder 100. Klinik-Patient mit Fehlbehandlungen rechnen.

Laut AOK-Report finden in Deutschland pro Jahr rund 19 Millionen Krankenhausbehandlungen statt – darunter etliche mit komplizierten Eingriffen, etwa bei betagten Patienten mit komplexen Erkrankungen. Bei fünf bis zehn Prozent aller Krankenhauspatienten komme es zu „unerwünschten Ereignissen“, so Max Geraedts, Leiter des Instituts für Gesundheitssystemforschung an der Uni Witten/Herdecke und Mitautor des Reports: Dazu gehören allergische Reaktionen auf Medikamente, aber auch entzündete OP-Wunden oder schlimmstenfalls der Tod als Folge eines Behandlungsfehlers. Die Hälfte der Fehler sei vermeidbar. Krankenhausinfektionen, an denen Experten zufolge jedes Jahr rund vier Prozent der Patienten erkranken, ließen sich durch bessere Desinfektionsmaßnahmen vermeiden. Allergische Reaktionen seien manchmal schon durch mehr Aufmerksamkeit beim Aufnahmegespräch zu verhindern. Immerhin komme es vor, dass Ärzte ihre Patienten nicht nach Allergien befragen würden. Vernachlässigt werde auch eine professionelle „Fehlerkultur“, kritisiert der Krankenhaus-Report: Kliniken müssten Fehlerberichtssysteme im eigenen Haus, aber auch untereinander besser nutzen.

Ärzte-Präsident Frank-Ulrich Montgomery wies die Kritik zurück: „Fehler passieren, auch in der Medizin. Wir kehren diese Fehler aber nicht unter den Tisch, sondern wir lernen aus ihnen.“ Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnte gestern davor, die Patienten zu verunsichern: Die Sicherheitsstandards seien so hoch wie nie zuvor. Eine wichtige Ursache für die Behandlungsfehler sieht der AOK-Report in einer falschen Strategie: Viele Kliniken würden versuchen, „sich zu kleinen Universitätskliniken zu entwickeln, die alles anbieten“, so Uwe Deh vom AOK-Bundesverband. Zulasten der Qualität: So zeigt etwa der Report, dass Hüftgelenk-Operationen oft wiederholt werden mussten, wenn sie in Krankenhäusern durchgeführt worden waren, die solche Eingriffe nur selten erledigen.

Viele Kliniken wollen alle Behandlungen anbieten

„Seien Sie froh, dass sie bei uns gelandet sind.“ Den Satz wird die junge Mutter nie vergessen. Mit dem Rettungswagen kam sie in die Klinik, etliche Wochen vor dem errechneten Geburtstermin. Ihre Tochter kam als Frühchen zur Welt – und überlebte. Die Wahrscheinlichkeit, dass zu früh geborene Kinder gerettet werden, steigt mit der Erfahrung des Klinikpersonals. Je mehr Fallzahlen, je mehr Routine, so argumentiert jetzt der aktuelle Krankenhaus-Report der AOK, desto größer ist die Überlebenschance. Die falsche Klinik, und das Kind wäre vielleicht nicht mehr am Leben.

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Der Kassen-Report übt heftige Kritik an den 2200 deutschen Krankenhäusern: Jeder 100. Patient müsse bei einem Klinikaufenthalt mit Fehlbehandlungen rechnen. Besonders riskant sind demnach Eingriffe in Krankenhäusern, die zu wenig Spezialwissen haben, weil die Fallzahlen zu gering sind - oft kleinere Häuser, die dennoch das Angebot einer großen Klinik bereit halten wollen: „Für eine hochwertige medizinische Versorgung ist jedoch Spezialisierung das Gebot der Stunde“, heißt es bei der AOK.

Die Kosten im Blick

Die Kassen haben die Kosten im Blick: Die Ausgaben der Gesetzlichen Versicherer für Krankenhausbehandlungen sind von 2002 bis 2012 um 35 Prozent gestiegen - auf 62 Milliarden Euro. Behandlungsfehler oder Komplikationen lassen bei einem Routineeingriff schnell die Summen explodieren. Das Berliner IGES-Institut hat ausgerechnet, dass eine Infektion mit multiresistenten Erregern (MRE) die stationären Behandlungskosten um bis zu 10 000 Euro in die Höhe treiben kann. Nach dem Willen der AOK sollten die Länder bei Investitionen in die Krankenhäuser stärker auf Qualität achten - und auf den tatsächlichen Bedarf in der jeweiligen Region.

Der AOK-Report mahnt die Kliniken, Behandlungsfehler systematisch zu erfassen und eine professionelle „Fehlerkultur“ zu entwickeln. Nach Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums nutzt allerdings beispielsweise erst die Hälfte aller deutschen Krankenhäuser das Fehlermeldeverfahren CIRS („Critical Incident Reporting System“) zur Verbesserung der Patientensicherheit. Und die Bundesärztekammer erinnert: Im Vergleich zur Gesamtzahl der Behandlungsfälle liege die Zahl der Behandlungsfehler im Promillebereich. Dennoch: Jeder Fehler sei einer zu viel.

DREI FRAGEN AN PROFESSOR JÜRGEN WASEM

Frage 1: 19 000 Todesfälle durch Behandlungsfehler – das klingt erschreckend. Hat das Risiko für Patienten so zugenommen?

Es gibt sicherlich mehr Behandlungsfehler – aber das deswegen, weil die Zahl der Krankenhausbehandlungen und die Komplexität der Fälle zugenommen haben. Dadurch passieren absolut gesehen mehr Fehler, nicht aber unbedingt prozentual. Entscheidend ist, wieder stärker zu sortieren, welche Krankenhäuser Grundversorgung machen und welche sich spezialisieren. Wenn Krankenkassen nicht mehr mit jedem Krankenhaus für alle Eingriffe Verträge abschließen müssten, würde das den Druck auf die Kliniken erhöhen. Für schlecht ausgelastete Kliniken auf dem Land wäre es eine Option, sich angesichts des Ärztemangels stärker auf die ambulante Versorgung zu stützen. Zudem müssen die Grenzen zwischen klinischer Versorgung und Pflege gesenkt werden.

Frage 2: Was können Kliniken tun, um ihre Fehlerquote zu senken?

In vielen Kliniken ist das Bewusstsein für Qualitätsmanagement gestiegen. Ein Fehler ist eine Chance, etwas zu lernen. Wenn ich einen Fehler mache und der Chefarzt staucht mich zusammen, werde ich den nächsten verschweigen. Und das ist falsch. Kliniken können da von der Luftfahrtindustrie lernen. Sie untersuchen jeden Fehler, damit er sich nicht wiederholt. Was einen der Hauptrisikofaktoren angeht, die Krankenhauskeime, können die Häuser hier sicherlich von den Niederlanden lernen, die konsequent auf Hygiene achten.

Frage 3: Was kann ich als Patient tun, um nicht Opfer von Behandlungsfehlern zu werden?

Die Kliniken müssen Qualitätsberichte veröffentlichen, und die Kassen bereiten diese Daten auch auf und beraten entsprechend. Bei Wahleingriffen würde ich immer in das Haus gehen, das diese Operation 150mal im Jahr macht – und nicht nur 15mal. Zudem können wir statistisch nachweisen, dass eine gute Personalausstattung die Fehlerquote senkt. Das herauszufinden, ist für Patienten allerdings schon schwieriger. Fest steht: Ärzte und Pflegekräfte unter Stress machen mehr Fehler.