Ennepetal. .
Eigentlich ist es kein wirklich Aufsehen erregender Fall: Die Frau ist allein in diesem Jahr 22 Mal beim Schwarzfahren erwischt worden, ist zu einem Gerichtstermin nicht erschienen, die Strafen bezahlt sie nicht, wird von der Polizei gesucht, taucht drei Monate unter, wird dann am Dienstag in Hagen festgenommen und sitzt jetzt in Gelsenkirchen in Untersuchungshaft. Was den Fall so ungewöhnlich macht, ist das Alter der Frau: 87 Jahre ist Gertrud F., was ihr nicht nur den Spitznamen „Oma Gerti“ einbrachte, sondern auch die Sympathie weiter Teile der Bevölkerung, „so geht man mit einer alten Frau nicht um“.
Was die Empörung oder auch das Mitleid noch verstärkte, sind die Bedingungen, unter denen Gertrud F. leben muss. Jedenfalls wenn es stimmt, was sie darüber erzählt hat. Rund 560 Euro Rente habe sie, 350 davon gehen schon für die Miete drauf. Deshalb sei sie, obwohl sonst noch recht gut zu Fuß, eben immer Zug und Bahn gefahren, ohne zu bezahlen, weil sie längere Strecken nicht mehr anders bewältigen könne. Auch das zusätzlich durch Putzen verdiente Geld habe nicht gelangt, schließlich habe man ihr nur drei Euro die Stunde bezahlt. Wobei sich da durchaus auch die Frage aufdrängt, wer denn eine 87-Jährige für drei Euro bei sich putzen lässt?
Im Juni erregt „Oma Gerti“ das erste Mal Aufsehen. Wegen Schwarzfahrens erhielt sie einen Strafbefehl über 400 Euro. Den bezahlte sie nicht, wurde vor dem Wuppertaler Hauptbahnhof festgenommen und kam zum ersten Mal ins Gefängnis. Eine Boulevardzeitung bezahlte die Strafe und holte die Frau aus dem Kittchen.
Seit dem 20. Juni war sie auf freiem Fuß, fuhr aber auch gleich wieder „schwarz“, wurde wieder erwischt und sollte am 5. September vor dem Wuppertaler Amtsgericht wegen Beförderungserschleichung erscheinen. Das tat sie nicht, darauf erging „schweren Herzens“, wie ein Gerichtssprecher damals sagte, ein Haftbefehl gegen sie. Die Polizei machte sich auf, aber Gertrud F. war unauffindbar. „Sie ist bei ihrem Sohn gemeldet, hält sich dort aber so gut wie nie auf“, sagt Carmen Schlosser, Pressesprecherin des Amtsgerichts Wuppertal.
Drei Monate finden die Fahnder keine Spur von der 87-Jährigen. Doch am Dienstag wurde sie bei einer Polizei-Kontrolle vor dem Bahnhof in Hagen durch Zufall kontrolliert, bei der Überprüfung ihrer Papiere kam der Hinweis auf den Haftbefehl, tatsächlich legten die Beamten der Frau Handschellen an. Erneut „schweren Herzens“, wie es heißt.
Jetzt sitzt sie in Gelsenkirchen in Untersuchungshaft. Anstaltsleiter Carsten Heim (54) darf nichts Konkretes zu dem Fall sagen, „Datenschutz“, aber generell würde eine Haftanstalt schon auf das Alter der Insassen eingehen, „so weit das möglich ist“. Die inhaftierten Frauen säßen in der Regel in einer Ein-Personen-Zelle, nur in Ausnahmesituationen in einer Doppelzelle. Jeder „Neue“ müsse allerdings eine gewisse Prozedur durchlaufen, dazu gehört eine Aufnahmeuntersuchung. Gertrud F. hatte sich nach ihrem ersten Aufenthalt darüber beschwert, dass sie sich dabei habe ausziehen müssen. Heim: „Da kann ich nichts zu sagen, aber die Untersuchung der Frauen wird natürlich von einer Ärztin durchgeführt.“
„So milde wie eben möglich“
Am nächsten Donnerstag, am 19. Dezember, wird Gertrud F. dann mit der „grünen Minna“ nach Wuppertal gebracht, Verhandlung vor dem Amtsgericht. Die Anklage: Schwarzfahren in 22 Fällen, Oma Gerti wurde zwischen Februar und September zum Beispiel in Dortmund, Gevelsberg, Wuppertal und Duisburg ohne Ticket in einem Zug angetroffen. Ihr Anwalt Jan Eils, Pflichtverteidiger: „Inhaltlich kann ich noch nichts sagen.“ Ihm sei aber daran gelegen, „den Fall so milde wie eben möglich abzufedern“.
Das Gericht rechnet nun zum Prozessauftakt auch mit großem Interesse der Presse und der Bevölkerung. Viele wollen Oma Gerti helfen, auch mit Geld. Etwa NRZ-Leserin Rosemarie Conrad aus Duisburg, die nicht versteht, dass eine 87-Jährige tatsächlich wegen Schwarzfahrens ins Gefängnis muss. „Die Frau hat doch vom Alter her wahrscheinlich dieses Land mit aufgebaut. Jetzt muss sie von so einer Rente leben. Und dann sperrt man sie einfach weg. Ich möchte ihr gerne helfen.“ Gnade vor Recht. Und Anwalt Eils hat einen pragmatischen Vorschlag: „Eine echte Hilfe wäre wohl ein Jahresticket.“