Der Oktober kann die perfekte Zeit zum Wandern sein - wenn er sich denn von seiner goldenen Seite zeigt. Er kann aber auch unwirsch nass und kalt auftreten. Unser Reporter Matthias Maruhn erlebt auf dem Rothaarsteig beides.

Er hat sich wieder auf den Weg gemacht: NRZ-Reporter Matthias Maruhn ist auf dem Rothaarsteig von Brilon im Sauerland bis nach Dillenburg, 154 Kilometer, unterwegs. Hier sind seine Berichte von der 3., der 4. und der 5. Etappe:

Etappe 3: Winterberg - Latrop (28 km)

Im Herbst stehen die Skilifte und Skihütten besonders traurig in der Gegend. Wenn die Blätter fallen, geben sie den Blick frei auf all die Schneekanonen und Stahlstelzen am Berg, die so verloren wirken; sehnsüchtig scheinen sie auf die ersten Flocken zu warten, die ihrer Existenz wieder einen Sinn geben.

Doch dann oben auf dem Kahlen Asten ist des Wanderers Welt wieder in Ordnung, zumal sich Ranger Ralf bereit erklärt hat, ein Stück des Rothaarweges mitzugehen. Der Kahle Asten wirbt jetzt übrigens mit „Der bekannteste Berg in NRW“, nachdem sich seit ein paar Jahren herumgesprochen hat, dass ihm zum höchsten Berg des Landes zwei Meter fehlen. Ralf Schmidt (51) weiß, dass ich als Herbstsucher unterwegs bin, etwas über die Bäume wissen will, und da kennt er sich aus.

Ranger Ralf
Ranger Ralf © Unbekannt | Unbekannt

Eigentlich, so sagt er, würde jetzt hier im Sauerland noch viel kräftiger der „Indian Summer“ das Landschaftsbild prägen, wenn es noch so viele Buchen gäbe, wie es die Natur eigentlich vorgesehen hatte. Aber die Köhler im Mittelalter und die beiden Weltkriege haben da große Lücken geschlagen.

Die Weltkriege? „Die verlorenen Weltkriege. Als Reparationszahlungen wurden auch die Wälder hier im Sauerland genommen. Die Briten und Franzosen haben zugeschlagen. Und nachgepflanzt wurden dann aus Kostengründen vor allem Kiefern, weil der Samen günstig zu haben war. Deshalb sind so viele Kiefern hier auch knapp 100 und knapp 70 Jahre alt.“

Bevor ich Ranger Ralf verlasse, stelle ich ihm noch meine Standardfrage: Welchen Platz nimmt der Herbst in der Hitparade der Jahreszeiten ein? Er überlegt nicht lange. „Nach dem Frühling Platz zwei. Ich mag den Herbst. Er könnte ganz vorne liegen, wenn es den November nicht gäbe. November ist furchtbar.“ Bevor ich weiterziehe, gibt mir Ranger Ralf noch eine Warnung mit auf den Weg: Das Barometer zeige, „dass es stürmisch werden kann. Sehr stürmisch. Pass auf..!“

Etappe 4: Latrop - Rhein-Weser-Turm (16 km)

Eine kurze Etappe, die 28 Kilometer vom Vortag stecken mir noch in den Knochen. Wenn ich mich abends bewege, wundere ich mich, dass nichts quietscht. Aber mit dem Morgen wachsen dem Wanderer neue Flügel, ich bin immer wieder über die Selbstheilungskräfte des Körpers bass erstaunt.

Das war aber auch wieder ein schönes Hotel: Das alte Schulhaus, mit Geschmack zur kleinen Herberge gerichtet. Und ein Haus mit Geschichte, einer Geschichte, die gut verdeutlicht, wie hart das Leben der Menschen in solch einem abgeschiedenen Tal des Sauerlandes stets war. Auch noch vor nicht allzu langer Zeit. 1931 untersuchte ein Arzt die Schulkinder von Latrop, nur drei waren gesund, vor allem die Kälte im Gebäude machte die Kinder krank. Eine überlieferte Messung vom 21. Februar 1930: Um 8.30 Uhr waren in der Schulklasse trotz Kohleofen nur 2,5 Grad, um 10 Uhr fünf Grad. Der Lehrer unterbrach immer den Unterricht für Kniebeugen oder Rundläufe.

Ich bewege mich auch, aber nur zur Ertüchtigung. Ich schaffe es noch aus dem Tal hinauf zum Hauptweg, als kurz vor Jagdhaus die ersten Tropfen fallen. Jetzt stellt sich dem Wanderer die klassische Regenfrage: Knirps raus und hoffen, dass es nicht schlimmer wird, oder gleich die langwierige Prozedur: Regencape mühsam aus dem Rucksack kramen, dann hast du es gerade an, und der Regen hört auf. Altes Spiel. Ich bin faul und nehme den kleinen Schirm, und es ist ein Fehler, denn der Regen wird immer heftiger, kommt ganz link von der Seite und als ich endlich am Rhein-Weser-Turm ankomme, ist eigentlich alles nass. Bis auf das Regencape. Nächstes Mal....

Etappe 5: Rhein-Weser-Turm - Lützel (18 km)

Das nächste Mal ist heute Morgen. Es schüttet weiter. Und der Wind hat aufgefrischt. Von Orkan ist im Radio die Rede. Und auch die anderen Wanderer im Turm sind etwas unsicher. Alle machen Gesichter, die gut zur Landschaft passen, faltenreich. Schließlich ziehe ich dann als erster das Regencape über mich und den Rucksack, spanne zusätzlich den Schirm auf und gehe da raus.... Stapf, stapf, matsch, matsch, links und rechts in den Spuren des Waldweges laufen Bäche.

Die nasse Seite des Herbstes
Die nasse Seite des Herbstes © Unbekannt | Unbekannt

Ich stelle mir mal ganz selbstkritisch die folgende Frage: Was machst du hier? Du bist kein Masochist, du bist kein Fremdenlegionär. Dann fällt mir die Antwort ein: Du bist NRZ-Reporter. Darüber muss ich so herzhaft lachen, dass mir sogar vernünftige Erklärungen einfallen: Du wolltest den Herbst erleben, hat niemand gesagt, dass der immer lacht, jetzt heult er und tobt, aber du lässt dich nicht beeindrucken.

Ein Männlein steht im Walde

Zwei Stunden bestimmt stampfe ich durch diese nasse Welt, ohne einem Menschen zu begegnen, alle Tiere sind in Deckung, dazu nimmt der Wind an Wucht zu, das ist schon ungeheuer. Wenn du da als kleines Männlein im Walde stehst und die Bö kommt wie eine Kavallerie durch die Wipfel herangaloppiert, dann ist sie über dir, die Naturgewalt in Dolby surround, und dir stellen sich die Nackenhaare hoch wie deinem Urururahnen am Höhleneingang. Ein gewaltiger grollender Lärm, gegen den die gelbe Wand im BVB-Stadion schon wie ein Kinderchor klingt.

Dann plötzlich schwächt der Regen ab, hört auf. Und du schüttelst dich wie ein nasser Hund und schreitest wieder aus. Gevatter Herbst hat dir kein Leid getan.